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Archiv-Artikel

Das gute Leben der Protestanten

VORTRAG Das Kampnagel-Theater präsentierte sich als Denkfabrik

Zur Spielzeiteröffnung lud das Kampnagel-Theater in Hamburg am Samstag zusammen mit der „Zeit“-Stiftung zum „Fortschritts-Camp“. Ein Vortrag zum Thema „Wie viel ist genug?“ vom keck gekleideten britischen Keynes-Biografen Lord Robert Skidelsky sollte für den Tag den Ton angeben. Das gleichnamige Buch (Kunstmann 2013), eine Streitschrift gegen den „Wachstumswahn“, das er zusammen mit seinem Sohn Edward Skidelsky verfasst hat, hielt sich im Frühjahr eine Weile auf den hiesigen Bestsellerlisten.

John Maynard Keynes, so holte Skedesky aus, habe 1930 prognostiziert, der technische Fortschritt werde, indem er die Produktivität stetig erhöhe, eines Tages dazu führen, dass die Menschen kaum noch arbeiten müssten. Das Staunen darüber, dass diese Vorhersage nicht eingetreten ist, obwohl immer mehr Arbeit von Robotern erledigt wird, befeuert heute seine Suche nach Lösungen. Denn: Kaum jemand wolle doch eigentlich noch so viel arbeiten, wie wir es heute tun. Wenn immer mehr Menschen größeren Wert auf Freizeit legen, müsse man dem Genüge tun: mit einer drastischen Verringerung der Wochenarbeitszeit und der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Dass trotzdem viele bereit sind, mehr zu arbeiten als nötig, habe seinen Ursprung in der Unersättlichkeit der Menschen. Die Werbung produziere unnötigerweise immer noch zusätzliche Bedürfnisse. Sein Sohn und er treten daher etwa für die Eindämmung von Werbung ein. Nicht zur Sprache kam eine Einschränkung des individuellen Konsums, wie ihn die beiden im Buch predigen und dabei ihre von protestantischer Ethik geprägten Vorstellungen von einem „guten Leben“ ausbreiten.

Den technischen Fortschritt zu verteufeln, wie Niko Paech, ist Robert Skidelskys Sache nicht. Ihm ist auch nicht das ökonomische Wachstum an sich ein Dorn im Auge. Wohl aber das Bruttoinlandsprodukt als alleiniges Maß unseres Wohlstands und das krisenhafte Expandieren der Finanzwirtschaft. Da vor allem möchte er das Rad der Geschichte zurückdrehen. Und, betonte Skidelsky zum Ende, wir müssten zurück zur Politik der Vollbeschäftigung. Gefragt nach den Akteuren dieser Umkehr, verwies das parteilose Mitglied des britischen Unterhauses auf den Klassenkampf, der seiner Meinung nach zwischen den in der Finanzwirtschaft Tätigen und allen anderen im Gange sei – und auf eine „leise Revolte“ in Richtung eines postkapitalistischen Lebens. CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK