Das große Interview (III): "Wir müssen uns Nischen suchen"
Zwischen den Jahren sprechen wir mit Menschen, die 2013 Großes vorhaben. Biobäuerin Johanna Böse-Hartje über den Kampf gegen die Agrar-Industrialisierung und den Wahnsinn der Mega-Kuhställe.
taz: Frau Böse-Hartje, also dieser Käse …!
Johanna Böse-Hartje: Lecker, ne?
Köst-lich! Ist das eigener?
Ja, den machen wir hier: Der Käser kommt mit seiner mobilen Käsereiher und zapft sich aus unserem Milchtank was ab. Für eine Produktion braucht er so 900 Liter.
Und wo verkaufen Sie den?
Ich beliefere Läden aus der Umgegend, den Bioladen in Verden, ein paar Edeka. Und sonst direkt vom Hof, wir haben hier ja unseren kleinen Hofladen, da verkaufen wir unsere Sachen. Was wir nicht selbst produzieren – also Joghurt, Sahne, Butter – bekommen wir von Söbbeke dazu. Das ist die Molkerei, die wir beliefern.
Die sitzen aber nicht in Niedersachsen.
Stimmt. Die ist in Nordrhein-Westfalen: Das Wertvollste, was wir haben, unsere Kinder und unsere Milch, die müssen wir nach NRW schicken. Das Agrarland Niedersachsen hat keine Biomolkerei, und es hat auch keine Schule für Biobauern. Das will man hier nicht.
Aber Absatzprobleme haben Sie nicht?
Nein, obwohl wir hier ja ziemlich abseits liegen. Die Leute kommen extra, um Eier und Milch aus dem Hofladen zu holen. Die Nachfrage nach ehrlichen und guten landwirtschaftlichen Produkten ist da – und sie wächst. Auch bei unserem kleinen Öko-Markt, den wir hier einmal im Monat auf dem Hof veranstalten. Da kommen Bioanbieter aus der Region, und wir verkaufen unsere Sachen natürlich auch: Wir schlachten vorher, um frisches Rindfleisch anzubieten …
ist Bäuerin auf dem Bioland-Milchviehhof Böse-Hartje in Thedinghausen-Eißel (Kreis Verden), stellvertretende Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und Landesgruppenleiterin Niedersachsen im Bund deutscher Milchviehhalter. Bis vor drei Jahren hat sie noch "für Geld" gearbeitet - als Hauswirtschafterin in einer Einrichtung für Autisten.
Auch Eier?
Ja, da haben wir einen Stall für 200 Hühner.
Niedlich!
Tjaja. Das ist eben unsere Antwort auf die Massentierhaltung.
Eher ein Hobby?
Ich glaube, wir bäuerlichen Betriebe müssen uns unsere Nischen suchen. Wir müssen uns stärker auf das Besinnen, was wir haben und können, um zu bestehen. Wenn wir in unserem Kampf scheitern und die Agrarindustrie die Oberhand behält, ist das ohnehin das Einzige, was uns übrig bleibt: Direktvermarktung, Kooperativen, Modelle solidarischer Landwirtschaft …
So wie der Oldendorfer Gärtnerhof bei Bremen.
Bei Hamburg gibt’s so etwas auch schon: Ich bin überzeugt, dass die Bauern, die jetzt auf die Straße gehen, sich in solche Nischen zurückziehen, wenn alles nichts hilft. Ich jedenfalls habe nicht vor, den Kopf einzuziehen und vor der Industrie zu kapitulieren. Hier in der Stube habe ich eine Urkunde von 1640: Die bescheinigt meinen Vorfahren, dass sie sich freigekauft haben aus der Leibeigenschaft.
Die habe ich auch neulich Gert Lindemann gezeigt, unserem Landwirtschaftsminister. Und ich habe ihm gesagt: Ich werde alles dagegen tun, 400 Jahre später eine Urkunde daneben zu hängen, dass ich mich wieder verkauft hätte.
Geht es aktuell denn nicht bloß darum, dass die Milchquote über 2015 hinaus Bestand hat?
Nein. Wir kämpfen nicht für den Erhalt dieser Milchquote aus den 80er-Jahren. Die will kein Mensch: Die hat nie funktioniert. Es ist auch mit Quote immer zu viel produziert worden.
Sondern?
Wofür wir kämpfen, das ist der Erhalt einer bäuerlichen Landwirtschaft, eine sinnvolle Mengensteuerung – und gegen die komplette Deregulierung des Milchmarktes.
Die eine Mehrheit hat?
Da wäre ich mir nicht so sicher: Inzwischen herrscht auf europäischer Ebene fast schon ein Patt.
Bislang herrschte doch Entregulierungseuphorie.
Die gab’s. Die war auch geschürt worden, nicht zuletzt von unserem Bauernverband, der eigentlich ein Industrieverband ist: Die ganzen Milchfabriken sind da Mitglied, und die haben da das Sagen.
Inwiefern profitieren die von billiger Milch?
Sie können mit Milchpulver oder Butter auf den Weltmarkt gehen – wofür es Exportsubventionen gibt. Sie können damit auch in Lagerhaltung gehen, also billig einkaufen, und bei steigendem Preis verkaufen.
Klingt lukrativ.
Aber nur für die Molkereien.
Aber es wird doch gar nicht so viel exportiert?
Das stimmt. Als echten Export kann man aber nur die zehn Prozent der Milchmenge bezeichnen, die den EU-Binnenmarkt verlassen. Von denen geht die Hälfte mit Wertschöpfung raus, also als Käsespezialitäten, Roquefort und Co – das ist völlig unproblematisch. Nur der Rest, also fünf Prozent der EU-Milchproduktion, geht, subventioniert, auf den Weltmarkt, um dort die Preise zu manipulieren – und sie bei uns kaputtzumachen. Darum geht der ganze Streit, während wir gleichzeitig ein Softlanding hinbekommen sollen.
Ein was?
Oh, da sind wir doch mitten drin! Wir landen schon ganz soft. Dadurch soll die Bauernschaft auf den freien Markt vorbereitet werden, indem europaweit jedes Jahr die Quote der erlaubten Melkmenge erhöht wird.
Trotz Überproduktion?
Ja. Sie bekommen die Ware nicht los, weil zu viel da ist. Also erhöhen Sie die Produktionsmenge. Ist doch ganz einfach.
Äh, da stimmt doch was nicht.
Da würd’ mich jeder einliefern, wenn ich das so machen würde. Aber beim Softlanding ist genau das der Plan.
In Norddeutschland hat es einen Stallbau-Boom ausgelöst: Etliche stocken die Herden auf 500, 800 oder über 1.000 Milchkühe auf.
So ist es.
Auf die Weide kommen die wohl nicht mehr?
Meistens. Und das ist auch so ein Problem: Normalerweise bedeutet Milchviehhaltung ja Grünlandwirtschaft. Schließlich ist die Kuh ein Grasfresser. Wenn man sie artgerecht ernährt, ist sie also wenigstens CO2-neutral.
Trotz Methan?
Trotz Methan. Aber in 1.000er-Ställen kippt das: Da können Sie Tiere beobachten, die würden auf der Weide verhungern, weil sie nie gelernt haben, wie man Gras rupft. Die bekommen nur Mais, der eine viel schlechtere Klimabilanz hat, und auch erst mal herbeigeschafft und gehäckselt werden muss.
Kosten solche Ställe nicht irre viel Geld?
Für so einen 500er-Stall müssen Sie locker ein paar Millionen auf den Tisch legen. Das kann eigentlich keiner auf Kante haben, bei unserem anhaltend niedrigen Milchpreis schon mal gar nicht. Also brauchen Sie Investoren im Hintergrund, von denen Sie sich abhängig machen. Und da kommen Sie nicht mehr raus. Es ist nicht möglich, diesen Schritt zurück zu gehen. Gleichzeitig müssen für jeden 500er-Stall etwa fünf bis sechs bäuerliche Betriebe aufhören.
Aber was ist am Konzentrationsprozess so schlimm?
Ho ho ho!
Na ja, produzieren halt weniger dieselbe Menge …
Also letztlich geht es darum: Wem gehört das Land? Das Land ist der Produktionsfaktor für unsere Ernährung. Das ist nicht vermehrbar. Und deshalb muss man die Bauern davon vertreiben. Weil Monsanto das so will
Der mythische Bösewicht.
Der Konzern Monsanto hat klar und deutlich als Ziel ausgegeben, bis 2050 die Welternährung in Händen zu halten.
Okay, so lässt sich die 2011 vorgestellte „New Vision for Agriculture“ wohl deuten.
Wer das will, braucht das Land. Und wer das Land will, muss den Bauern loswerden, der darauf hockt. Das geht aber nur, indem ich ihn verschulde. Und wie verschulde ich ihn? Indem ich ihm von der Berufsschule an und bei jeder Beratung einbläue, dass er immer höher, weiter, schneller produzieren muss. Wenn man natürlich kein Problem damit hat, dass nur noch einzelne Unternehmen bestimmen, was wir essen, na, dann ist das völlig in Ordnung.
Und wenn uns auch egal ist, wie die Tiere gehalten werden, wir mit den Hühner- und Schweinebildern aus den industriellen Ställen leben können und sagen: Ein paar Antibiotika im Essen sind doch okay – dann müssen wir so weitermachen.
Aber wie soll ein Modell der Mengenregulierung diesen Trend aufhalten?
Wir wollen ihn aufhalten – und eine funktionierende Mengenregulierung ist dabei ein Instrument, weil sie für faire Preise sorgen kann.
Wie könnte sie denn funktionieren?
Wir wollen eine europäische Monitoringstelle einrichten, die den Bedarf erfasst und die Produktionsmenge darauf abstimmt– also das Angebot an die Nachfrage anpasst.
Kingt nach Bürokratie.
Ach was. Wir sind ja ohnehin gläsern wie nur was: Man weiß ja schon jetzt, wie viele Bauern wir haben, man weiß, wie viele Kühe jeder hat, jeder Quadratmeter Land ist gemeldet, was darauf wächst und was nicht. Wegen unserer Quoten wissen wir auch, wie viel jeder produziert. Wenn wir an diesem Ist-Zustand ansetzen, müsste man nur festlegen: Das ist die Grundmenge. Die geben wir rein – und gucken: Was brauchen wir wirklich?
Und wie reguliert man das?
Ganz einfach: Wenn mehr Milch getrunken wird, müssen die Bauern mehr liefern – und umgekehrt. Dafür müsste man einen Preiskorridor festlegen, ausgehend von dem, was man braucht, um kostendeckend zu produzieren. Ein solcher Korridor kann Spiel von 5 Cent nach oben und nach unten lassen. Wenn der Milchpreis darunter absackt, muss man die Menge reduzieren.
Und das wollen Sie auf EU-Ebene durchsetzen?
Wir waren ja im Herbst in Brüssel. Und wenn man da so sieht, dass da mehrere Tausend Bauern aus fast allen europäischen Ländern demonstrieren, auch von weit weg, aus Polen, aus Lettland, Dänemark, Irland, Spanien und Schweden, dann macht mich das zuversichtlich. Da sind Leute, die sind in derselben Situation wie wir – und die kämpfen für das Gleiche.
Und damit beeindrucken Sie EU-Parlament und -Kommission?
Was bleibt uns denn übrig? Die Milchbauern sind nun mal die letzte Bastion der bäuerlichen Landwirtschaft – Geflügel und Schweine sind durchindustrialisiert. Dafür auf die Straße zu gehen, dass wir hier eine eigentümergeführte, bäuerliche Landwirtschaft behalten, bin ich auch meinem Sohn schuldig, der unseren Betrieb übernehmen will. Wir haben auch schon eine Menge erreicht. Die Vorgängerin von Agrarkommissar Dacian Cioloş, …
… Mariann Fischer-Boel …
… die hatte alle unsere Vorstöße für aussichtslos erklärt, angekündigt bis 2015 im Amt zu bleiben und die Milchquote dann ersatzlos zu streichen. Allerdings waren die in Brüssel es irgendwann leid, ständig diese randalierenden Bauern da zu haben. Und dann kam Cioloş.
Der ist auf Ihrer Seite?
Cioloş spricht mit uns. Das ist ein Unterschied. Er hat auch das schon verabschiedete, sogenannte Milchpaket für unzureichend erklärt und für neue Verhandlungen gesorgt. Das ist eine Menge. Wie es ausgeht, lässt sich nicht sagen. Aber auf jeden Fall brauchen wir weiterhin den Druck von der Straße.
Von den Milchbauern.
Nicht nur. Wichtig ist der Zusammenschluss von Produzenten und Verbrauchern, etwa bei der „Wir haben es satt“-Demo in Berlin im Januar …
… die findet zum dritten Mal während der Grünen Woche statt.
Bei kaltem Wetter ein Zug von 30.000 Menschen quer durch die Stadt: Das war schon ein wahrnehmbares Zeichen. Die Demo ist auch vielen ein Dorn im Auge, weil da die Bauern und die Bürger merken: Sie haben, bei allem was sie sonst trennt, ein gemeinsames Interesse. Denn der Verbraucher muss ja sagen, welche Landwirtschaft er will. Wir Bauern stehen ihm gegenüber dann in der Pflicht. Wir müssen produzieren, wie er’s gerne hätte. Aber das muss er auch klar und deutlich fordern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW