piwik no script img

Das ewige Stehauf-Frauchen

■ Der Befreiungsschlag gegen alles Böse ist vollbracht: Tina Turner hüpft wie eh und je durch die Gegend

Da sage doch einer, im Pop sei alles geerdet und paranatürliche Phänomene inexistent. Tina Turner zumindest hat es fertig gebracht, auch ohne erkennbare Enkel eine Großmutter zu werden. 1984 war es, als die Musikwelt das Comebackalbum der Turner unter lautem Jubel in die Charts hievte und der damals 44-jährigen Künstlerin den Titel „Rock-Oma“ verpasste.

Private Dancer, wir wissen es längst, glich allerdings weniger einer Pop-Prozedur mit unbefleckter Empfängnis, als einem emanzipatorischen Freischlag gegen all das Böse, das sich vor diesem Album abgespielt hatte. Eine Lebensgeschichte in zwei Teilen also. Erst die steile R&B-Karriere mit Gatte, Mentor und Manager Ike, 1969 die US-Tour der Rolling Stones supportet sowie diverse Super-Klopfer in den frühen 70ern. Dann der eheliche Niedergang inklusive all der schrecklichen Details, die Ike seiner Frau antat. Tina Turner, Ende der 70-er nahezu mittelos und psychisch stark angeschlagen, verlässt ihren Mann mit weniger als einem Dollar in der Tasche, um einen neuen Anfang zu finden.

Dass sie den gefunden hat, davon erzählt der zweite Part dieser Stehauf-Frauchen-Biographie und ist in dem Buch „I, Tina“ sowie der Leinwand-Opera What's love got to do with it bestens dokumentiert. Eine Periode übrigens, die bis heute andauert, und die wohl auch bis zu dem Zeitpunkt andauern wird, an dem wir mit Bedauern den Zeitungen werden entnehmen müssen, dass der Welt größte Bühnen-Frau endgültig und auf immer von uns gegangen ist.

Bis es allerdings soweit ist, haut uns die Turner einen Rock in die Kniekehlen, der so solide, handgestrickt und erdverbunden wie ein Bausparvertrag brilliert. Als „zeitlos“ umschwärmt der geneigte Zuhörer solche Musik, die die Dekaden nicht kennt und sich an Leute wendet, die sich zumindest musikalisch schon im frühen Alter zur Ruhe gesetzt haben.

Kein Wunder also, dass nur von sekundärem Interesse ist, aus welchem Jahr, mit welcher Band oder welchem Produktionsteam die Turner welchen Song eingespielt hat. Oder kann jemand adhoc sagen, von wann das Mosh-Duett „It's only love“ mit Bryan Adams stammt? Und was ist mit „Typical male“ oder „It takes two“?

Für Turner samt Anhang stammen die Regeln für den guten Song nicht aus einer bestimmten Ära, sondern sind einer inneren Haltung erlesener Standhaftigkeit entsprungen. Genau wie all die anderen Stadion-Ro-cker predigt die Turner die ewig gleichen Tugenden und verweist auf die wachsende Anzahl treuer Fans.

Vielleicht sollte ihr mal jemand sagen, dass dies auch mit der zunehmenden Vergreisung der Gesellschaft zusammenhängen könnte. Denn je älter der Mensch, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, ein Turner-Fan zu werden und vor allem: zu bleiben. Brave New Oma-Welt. Oliver Rohlf

Dienstag, 20 Uhr, Volksparkstadion

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen