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Das dentale Paradies auf Erden

Der Senatsentwurf zur Neustrukturierung der Zahnmedizin hat keine Chancen, im Abgeordnetenhaus verabschiedet zu werden / Teilen sich FU und Charité die beiden FU-Zahnkliniken?  ■ Von Kai Strittmatter

Eigentlich wollte Manfred Erhardt (CDU), Senator für Wissenschaft und Forschung, nur das umsetzen, worüber sich alle einig waren – Berlin muß sparen und braucht weniger Studenten. Die universitäre Zahnmedizin schien ihm ein guter Ansatzpunkt: Die Berufsaussichten sind schlecht, an den drei Berliner Standorten werden zu viele ZahnärztInnen ausgebildet.

Mit seiner Gesetzesvorlage zur Neustrukturierung des Fachbereichs schaffte Erhardt dann aber das Kunststück, alle Betroffenen und die Politiker quer durch alle Parteien gegen sich aufzubringen. Am Montag wird der Wissenschaftsausschuß des Abgeordnetenhauses erneut tagen, und es sieht nicht so aus, als ob der Entwurf in seiner ursprünglichen Form noch eine Chance hätte. Selbst Erhardts eigene Partei, die CDU, findet keinen Gefallen an den Vorstellungen des Senators: „Keine Befürworter“, vermerkte das Protokoll des CDU-Wissenschaftsforums nach einem Diskussionsabend Ende September.

Im August hatte der Senat auf Erhardts Vorschlag hin den Entwurf eines „Haushaltstrukturgesetzes“ beschlossen, der – unter anderem – vorsieht, die Zahnklinik an der Charité zu schließen und der Humboldt-Universität statt dessen die beiden Zahnkliniken der Freien Universität zuzuordnen. Die Zahl der Studienanfänger soll von jährlich 270 auf 160 reduziert werden. „So nicht!“ war der Tenor der Stimmen, die Erhardt daraufhin entgegenschallten: „Chaos“ befürchteten die Angestellten der FU-Kliniken, die sich als „Opfer politischen Kalküls“ wähnten; vor einer Verschlechterung der Studienbedingungen warnten die Studenten; „Rivalität und Mißgunst“ werde diese Lösung zwischen der Freien und der Humboldt-Universität heraufbeschwören, meinte Charité-Dekan Harald Mau; „keine Mark an Einsparungen“ prophezeite sein Kollege von der Freien Universität, Jean François Roulet.

Erhardts Rechnung ist einfach: 60 Millionen Mark spare der Senat, wenn die Charité-Zahnklinik nicht renoviert werden müßte; 14 Millionen Mark an weiteren jährlichen Einsparungen sollen der Personalabbau und die Reduzierung der Studentenzahlen bringen. Letzteres werde nicht funktionieren, halten ihm seine Kritiker vor: „Wir können hier das dentale Paradies auf Erden beschließen“, sagt Jean François Roulet, Dekan des Fachbereichs Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde an der FU, „wenn wir auch nur einen Studienplatz weniger anbieten, spielen die Gerichte nicht mit.“

Gerichtsurteile der vergangenen Wochen bestärken Roulet in seiner Skepsis: Die Verwaltungsgerichte zwangen zuletzt den Fachbereich Tiermedizin, mehr Studenten aufzunehmen, weil sie die „Ausbildungskapazitäten“ für nicht ausgeschöpft hielten. Im Klartext: Je mehr Professoren auf der Gehaltsliste eines Instituts stehen, desto mehr Studenten muß es aufnehmen. Der Entwurf des Senats aber schließt Kündigungen bei der Zahnmedizin ausdrücklich aus. Zwar werden Stellen gestrichen, aber für die betroffenen Dozenten soll ein „Überhangkapitel“ eingerichtet werden. Den Gerichten ist es egal, ob ein Dozent wirklich unterrichtet oder im „Überhang“ versteckt wird – sie rechnen jeden ein. Eine Reduzierung der Studentenzahlen kann erst erreicht werden, wenn ein Professor die Uni verläßt oder stirbt.

Eine Schließung der Charité- Zahnklinik würde also den beiden Noch-FU-Zahnkliniken Dutzende zusätzlicher Studienanfänger bescheren. Das ist nicht das einzige Ungemach, von dem sich die dortigen Studenten und Angestellten bedroht sehen: Bei einer Zuordnung zur Humboldt-Universität fürchten die Angestellten um ihre Arbeitsverträge und Altersversorgung, die Studenten sehen lange Wege und Chaos bei der inhaltlichen Abstimmung des Studiums auf sich zukommen. „Fachlich und sachlich“ spräche alles gegen eine Änderung des Status quo, meint der Sprecher der FU, Christian Walter, und Dekan Roulet ergänzt: „Jeder Kompromißvorschlag wird zu einer Verschlechterung der Zahnmedizin führen.“

Um die Sache allein geht es halt nicht: Es ist die erklärte Politik des Senats, im Osten Berlins nichts mehr ersatzlos zu streichen. Die Charité braucht ein Trostpflaster. Chancen werden jetzt einem Kompromiß eingeräumt, der vorsieht, die Zahnklink Nord an die Humboldt-Universität anzugliedern und die Zahnklinik Süd bei der FU zu belassen. Diese Lösung, teilt uns erwähntes Protokoll des CDU- Wissenschaftsforums lakonisch mit, erscheine zwar „weder Prof. Roulet noch Sen. Erhardt sinnvoll“, sei jedoch zumindest unter den CDU-Debattanten der „einzig wirkliche Konsens“.

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