Das Wissen über das Lebensende

She She Pop treffen sich in „Dance Me“ im HAU mit dem Performance-Nachwuchs zu einem Wettbewerb. Das ist manchmal erhellend

Von Tom Mustroph

Bevölkerung kann man in Alterskohorten unterteilen. Sozialwissenschaftler machen das gern, auch Marketingleute, in der Hoffnung, ihre jeweilige Kundschaft besser und differenzierter adressieren zu können. In ihrem neuen Projekt „Dance Me“ unternimmt auch She She Pop diesen Versuch. Selbst gehören die Per­for­me­r:in­nen der Altersklasse Ü50 an. Eingeladen haben sie Kolleginnen und Kollegen um die 20, teils noch darunter. Die Alterskohortenvertreter treten als zwei Mannschaften in einer Art Gameshow an, deren Prototyp von der Elterngeneration von She She Pop entwickelt wurde – damals, als das Fernsehen gerade bunt wurde. Klassische Elemente des Boxens werden übernommen, mit blauen und roten Boxermänteln für die Kennzeichnung der Rivalen, mit Gongs, die jede neue Runde einläuten, mit Leuchtanzeigen und einem Quadrat als Kampffläche.

Leider dauert es einige Zeit, bis die Teams warm werden. Anfangs bekriegen sie sich nur verbal mit Stereotypen: Die Jungen informierten sich nur über Tiktok, die Alten über den Guardian, die Jungen hätten binäre Freunde, die Alten graue Genitalbehaarung. Auch der Klassiker kommt: Die Jüngeren bildeten die erste Generation in einer Welt mit Ablaufdatum, klagen diese. Den Physikunterricht haben sie wohl geschwänzt. Sonst wäre ihnen das ganz sichere Ablaufdatum dieses Planeten durch das Sterben der Sonne in ein paar Millionen Jahren bekannt; das gilt dann generationenübergreifend.

Klar, der Klimawandel hat ein Ende der Menschheit, wie wir sie kennen, nähergerückt. Aber das darf man dann auch so sagen. Den Generationenkampf im HAU tragen offenbar nicht die allerhellsten Vertreter der jeweiligen Jahrgänge aus.

Besser wird es bei Tanz und Musik. Die Älteren zeigen dabei routiniert die Vorteile frühkindlichen Musikunterrichts und erzeugen händisch, an Akkordeon, E-Gitarre und Flöte, die Songs ihrer Generation. Die Jüngeren lassen die Maschinen performen, drehen bestenfalls an Reglern.

Das Bewegungsrepertoire der Jüngeren wiederum ist flexibler; sie passen ihre einstudierten Moves geschmeidiger an die Musik an, die ihnen die Älteren präsentieren. Bei der Ü50-Fraktion hingegen dauert es bei einem zehnminütigen Techno-Set der Jüngeren mehr als acht Minuten, bevor sie ihre der rhythmischen Sportgymnastik entlehnte Choreografie in Techno-affine Moves verwandelt. Da erst entsteht etwas. Zuvor aber wirken Körper und Geist erschreckend verhärtet.

Das passt bestens zur Selbsteinschätzung als „Generation Palliativmedizin“, bei der das Wissen über das Lebensende, erlebt am Sterben der Eltern, die Jahrgangsvertreter wieder enger zusammenrücken lässt. Die Jüngeren betonen hingegen ihre Individualität und lehnen einen Generationenzusammenhang für sich ab. Fragt mal die Marketingchefs eurer Lieblingsbrands, wie sie ihre Strategien auf euch ausrichten, möchte man ihnen da zurufen.

Auf einen Konflikt im Arbeitsverhältnis der beiden Gruppen weist immerhin Eren M. Güvercin in seinem Abschlussstatement hin: Wie solle man die Alten von She She Pop überhaupt kritisieren, wenn man von ihnen doch zur Show eingeladen sei und gerne weitere Gigs hätte? Wer das Geld hat, bestimmt die Musik, selbst wenn er die anderen mal an die Regler lässt.

Die Machthaber müssen dabei nicht immer die Älteren sein. Für zukünftige Auftritte ist eine tiefere Analyse dieser Machtverhältnisse zu erhoffen. Auch möge der Selbsterkenntnis, dass es sich bei den vorgestellten Rollenmodellen um privilegierte Generationen im abendländischen Kapitalismus handelt, verbal oder performativ Ausdruck verliehen werden. „Dance Me“ hat Potenzial, die Beteiligten müssen es nur heben wollen.

Wieder im HAU 2, 21.–24. Januar