daumenkino: Das Wilhelm-II.-Porträt „Majestät brauchen Sonne“
Starschnitt mit Pickelhaube
Mit dem Warhol-Plakat zum Film sollte ja eigentlich schon alles klar sein. Hier geht es nicht um den ollen Kaiser Wilhelm, den wohl nicht mal ewig gestrige Stadtschloss-Fanatiker wiederhaben wollen. Sondern um den zu seiner Zeit millionenfach reproduzierten ersten deutschen Medienstar, wie ihn Peter Schamoni gleich zu Beginn nennt. Das Konterfei des Kaisers war Propagandamaterial und Objekt der Begierde zugleich, es zierte Postkarten und Bierdeckel; wer wollte, konnte sich einen achtteiligen Starschnitt mit Pickelhaube basteln.
Nun sind diese Memorabilien nicht das Herzstück des Films, das sind die mehr oder weniger spektakulären Filmaufnahmen der „unbekannten Kameraleute“ des beginnenden 20. Jahrhunderts, denen Schamoni „Majestät brauchen Sonne“ gewidmet hat. Sie zeigen Wilhelm II. und seine Militärgockel nicht nur bei der heroischen Abnahme von Paraden und seinem Lieblingssport, der Enthüllung von Denkmälern, da wird auch gemenschelt. Etwa wenn Wilhelm mit seinem Säbel nicht aus dem Auto kommt. Oder wenn er, der wegen seines verkrüppelten Arms kein Gewehr halten konnte, mit einem merkwürdigen Einhänder Wildschweine abknallt. Bei den letzten Bildern aus dem Exil stellt sich geradezu Mitleid ein: Völlig frustriert lässt Wilhelm da sämtliche Bäume seines Gehöfts abholzen, wobei er den Arbeitern mittels einer eigens an die Säge montierten Leine zur Hand geht. Aber sollte man Schamoni darum mangelnde Distanz vorwerfen?
Distanzlos ist der Blick, der solche Bilder nur Zuschauern mit absolviertem Geschichte-Leistungskurs zumuten will. Doch Schamoni hat nicht nur das menschliche Phänomen vom politischen Akteur getrennt, er hat auch seine Bilder manipuliert. Offenbar boten ihm die erstmals gezeigten Filmdokumente und die cinematographische Sensation eines mit drei synchron abgestimmten Kameras aufgenommenen Farbfilms nicht genug Unterhaltungswert. So hat er den Paraden das Scharren von Hufen, Wilhelms mysteriösen „Nordlandfahrten“ in den norwegischen Fjorden Wellengeplätscher unterlegt. Sobald Wilhelm den Mund aufmacht, kläfft die Stimme von Otto Sander Worte wie „Donnerwetter“ oder „ausgezeichnet“. Nicht auszudenken, was die „unbekannten Kameraleute“, mit entsprechendem Gerät, mit ihrem Kaiser angestellt hätten.
Die unangenehme Nostalgie liegt eher in der dezenten Unentschlossenheit, mit der Schamoni seinem doch lieb gewonnenen Objekt begegnet. Und in Mario Adorfs onkelhaft spöttelndem Kommentar, der den letzten Kaiser noch lächerlicher macht, als er ohnehin war.
PHILIPP BÜHLER
„Majestät brauchen Sonne“. Regie: Peter Schamoni. D/NL 1999, 105 Min.
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