: Das Teamwork der Wölfe
Von Tieren, die sich selbst domestizierten, und Menschen, die nun ihre Wildheit in der modernen Wirtschaft wieder entdecken: Antriebskräfte für die weltweite Welle des Wieder-Wölfisch-Werdens sind erstens die Ökologie und zweitens die Globalisierung
von HELMUT HÖGE
Wie das Wölfischwerden der gesamten deutschen Nation bis hin zum Nationalsozialismus funktionierte, wird langsam klar. Einerseits führte der preußische Militarismus zu einer Verselbstständigung gegenüber dem Staat, und andererseits fürchtete der soldatische Mann im Falle einer friedlichen Revolution, dass dabei sein Ichpanzer völlig aus dem Leim gehen würde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde deswegen Preußen schleunigst von den Alliierten aufgelöst und die Wehrmacht sowie andere militärische Verbände verboten. Für eine demokratische Gesellschaft waren sie nicht zu gebrauchen.
In der Bundesrepublik war dann zunächst bloß an die Aufstellung einer kleinen treuen Hundewehr gedacht, dafür musste man jedoch auf die letzten noch lebenden Wölfe zurückgreifen – und aus einigen tausend Generalen sowie Admiralen und einigen hunderttausend Offizieren der Wehrmacht die geeignetsten – mit Ostfronterfahrung – herauspicken. Diese wollten sich jedoch nach wie vor bzw. jetzt erst recht nicht wieder dem Staat unterordnen. Obwohl die Gründung der Bundeswehr auf den Geburtstag des preußischen Militärreformers Scharnhorst gelegt wurde, auf den 11. November 1955, gelang es den politischen Planern nicht, dessen einst „stecken gebliebene Reform“ wieder aufzunehmen.
Der Militärhistoriker Detlev Bald meint, im Gegenteil bestimmten bald wieder „Draufgängertum und Schinderei … überzogene Verrohung und übertriebene Disziplinierung … den Alltag“. Erst mit der Studentenbewegung kam es Ende der Sechzigerjahre zu einer wirklichen „Krise“ der inneren Führung – beim Kampf um die Gleichrangigkeit von Militär und Politik. Anlass war nicht zufällig eine Aktion der Gewerkschaft ÖTV, die in Kasernen um Mitglieder warb, während die Bundeswehrführung nach wie vor die einst von Freund und Feind bewunderte „Kampfmoral der Wehrmacht“ propagierte, die noch ganz ohne Tarifverträge und Schmutzzulagen ausgekommen war. Über ihre Schuld am verbrecherischen Krieg, vor allem im Osten, hatte zuvor der CDU-Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel in einem „ersten Traditionserlass“ 1965 noch abwiegelnd geurteilt: „In der Geschichte nehmen alle Menschen teil an Glück und Verdienst wie an Verhängnis und Schuld.“ 1982 stellte der neue SPD-Minister Hans Apel in einem zweiten Traditionserlass jedoch klar: „Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen.“ 1996 wiederholte der CDU-Verteidigungsminister Volker Rühe diese Abfuhr – vor Bundeswehrkommandeuren – noch einmal. Jetzt ist diese Einsicht bereits so weit durch die Truppe gedrungen, dass bei Berlin-Besichtigungen durch Bundeswehrgruppen die City-Guides von den Begleitoffizieren vorab angewiesen werden, „nichts Nationalsozialistisches!“ zu zeigen. Geradezu ein Unding in Berlin!
Inzwischen haben aber die Westalliierten auch aus ihren Kampfmaschinen längst unpolitische Hightech-Tötungsspezialisten gemacht, wobei sie jedoch den soldatischen Mann als deutschen Anteil daran komplett zurückgedrängt haben. Diese taugen höchstens noch als Neonazi-Vorbilder. Am 8. Mai 2000 wurde erstmalig sogar eine Bundeswehrkaserne nach einem Judenretter (dem Feldwebel Anton Schmid) benannt. Dagegen wurde umgekehrt in den USA erstmalig einer der besonders wölfisch-verrohten deutschen SS-Offiziere von einer Universität dadurch geehrt, dass sie seinen Namen annahm: Wernher von Braun – in Huntsville, Texas.
Diese jüngst erfolgte Umbenennung ist wahrscheinlich bereits der neuen Welle weltweitem Wieder-Wölfisch-Werden geschuldet. Das wird derzeit auf zwei Wegen katalysiert: einmal über die Ökologie und zum anderen durch die so genannte Globalisierung. Zu Ersteren zählen u. a. alle selbst ernannten Wolfsexperten sowie auch immer mehr Akademikerinnen, die ihre Doktorarbeit über Wölfe schreiben. In Brandenburg und im benachbarten Polen sind das zum Beispiel die Biologinnen Gesa Kluth und Sabina Nowak. Sie sind der Meinung, „dass Wölfe in den allermeisten Situationen einfach unfair behandelt werden“. Seit 1991 wurden nachweislich acht vom westpolnischen Rudel nach Brandenburg übergewechselte Wölfe „illegal erschossen – die häufige Ausrede: Verwechslung mit einem wildernden Hund“.
Die beiden Wolfsexpertinnen veranstalten regelmäßig Seminare zusammen, um die Leute hüben und drüben vom Wert der Wölfe für die Natur zu überzeugen. Gleichzeitig laufen andere derartig ökologisch Engagierte gegen etwa Norwegens „Other Face“ Sturm: Dort werden immer noch die Wolfsrudel mit Maschinengewehren vom Hubschrauber aus dezimiert, denn Jägern und Schafzüchtern zuliebe. Es ist daran gedacht, das Land zu boykottieren, wie einst Südafrika.
Auch die kleine Westberliner Naturwissenschaftliche Sammlung, die seit der Wiedervereinigung wegen des riesigen Ostberliner Naturhistorischen Museums von Abwicklung bedroht ist, widmet sich in ihrer neuen Ausstellung dem Top-Ökothema Wolf, ihre Schau heißt „Wölfe – Opferhunde – Karrenköter“. Gezeigt wird u. a. ein Panorama des Berliner Urstromtals während der Weichsel-Kaltzeit mit zwei ausgestopften Wölfen.
Die Annäherung zwischen Mensch und Wolf und dessen Umwandlung in einen Hund erfolgte wahrscheinlich während der Eiszeit. Der FAZ-Tierrezensent Cord Riechelmann bedauerte in seiner Ausstellungsbesprechung, dass man die falsche Hundeabstammungstheorie von Konrad Lorenz dabei nicht aufgriff, denn sie weist seiner Meinung nach „in die richtige Richtung: Lorenz unterschied zwischen freundlich eingestellten Hunderassen, die vom Schakal abstammen, und solchen, die nur einem Herrn bedingungslos treu sind und die vom Wolf herkommen. Dass der Art- und Rasseidealist Lorenz sich beide Verhaltensformen nicht in einer Art vorstellen konnte, hatte zu anderer Zeit andere schlimme Folgen“, schreibt Riechelmann – in Anspielung auf die deutschen „blonden Bestien“.
Da nun aber DNS-klar bewiesen ist, dass alle Hunde vom Wolf abstammen, geht Riechelmann davon aus, dass die Wölfe „sich zu Teilen selbst domestizierten“. Das betraf vor allem rangniedere Tiere, die das Interesse am Rudel verloren und sich stattdessen „häufig in der Nähe von Dörfern, auf Müllhalden oder am Rand von Kinderspielplätzen“ aufhalten. Riechelmann sieht sie jetzt noch in den großen urbanen Mischlingshunden der Punks und Autonomen aufscheinen, weil diese meist so friedlich sind, dass sie sich nur selbst domestiziert haben können. Umgekehrt scheint sich die Hundewehr des Staates – deren Soldaten inzwischen so unattraktiv wie S-Bahn-Schaffner geworden sind, sodass niemand mehr einen Uniformierten heiraten will – dadurch wieder ins wölfische Spiel zu bringen, dass sie einfach mehr und mehr Frauen einstellt.
Das Wieder-Wölfisch-Werden geschieht daneben auch und vor allem über die Globalisierung. Erwähnt wurde in diesem Zusammenhang bereits das neue Buch der Paderborner Erfolgsschriftstellerin und Unternehmensberaterin Gertrud Höhler – mit dem Manager-affirmativ gemeinten Titel „Wölfin unter Wölfen“. Der Vorläufer für diesen feministischen Stuss kommt aus den USA und heißt etwas umständlich: „Die Weisheit der Wölfe – Wolfsstrategien für Geschäftserfolg, Familie und persönliche Entwicklung“. Geschrieben hat es ein Unternehmensberater aus Tennessee: Twyman L. Towery, der auf „Managementsystematisierung“, what ever that is, spezialisiert ist.
Sein Schulungstext beginnt mit der wahren Bemerkung: „Heute ist auf der ganzen Welt ein wieder auflebendes Interesse an Wölfen zu beobachten.“ Aber dann wird es immer platter: „Die Sozialordnung des Wolfs ist hoch entwickelt … Das Alphamännchen ist buchstäblich der Rudelführer … Wölfe sind wichtig für die Erhaltung einer gesunden, natürlichen Umwelt … Sie fressen die Schwachen, Kranken und Alten anderer Tierpopulationen … Am allermeisten freilich brauchen wir die Wölfe – für die Gesundheit unseres Geistes.“ Oha.
Dann kommen aber Sätze, die von so schlichter Blödheit sind, dass man sogar die Wölfe dagegen in Schutz nehmen möchte: „Nicht nur war und ist das Teamwork der Wölfe untereinander entscheidend für ihren Erfolg, sondern zugleich hat die Zusammenarbeit zwischen Menschen und Wölfen dazu beigetragen, die Lebensumwelt für beide Spezies qualitativ zu verbessern … Die Einstellung des Wolfs kann man in wenigen Worten zusammenfassen: Sie besteht in einer ständigen Vergegenwärtigung von Erfolg … Das Wolfsrudel ist zwar möglicherweise die effektivste Jagdmaschine der Natur, aber es hat dennoch eine Misserfolgsrate von annähernd neunzig Prozent … Es gibt deswegen im Leben des Wolfs keinen Ersatz für Beharrlichkeit … Das Naturgesetz vom Überleben des Tauglichsten ist in der Welt des Wolfs weiterhin wirksam …“
Zusammenfassend kann man abschließend mit dem Autor sagen: Ohne wölfisch zu werden, laufen die ganzen „Total-Quality-Management (TQM)-Programme“ völlig ins Leere! Das ist auch meine Meinung.
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