piwik no script img

■ Die Sterilisation des Mannes zählt zu den sichersten Verhütungsmethoden. Trotzdem scheuen viele vor dem kleinen Eingriff zurück Von Michael BohneDas Stiefkind der Nation

Kastrationsängste und fehlende Informationen sind die Gründe dafür, daß sich in Deutschland die Vasektomie nicht durchsetzt. Auch von der Ärzteschaft wird diese Verhütungsmethode immer noch ungern ermöglicht.

In jüngster Zeit hat ein höchstrichterliches Urteil aus Karlsruhe die Nation bewegt. Die Frage der Arzthaftung bei mißglückter Sterilisation mutierte über die verschiedenen Gerichtsinstanzen hinweg bis hin zum Bundesverfassungsgericht zum Thema „Kind als Schaden“. Schlagzeilen wie „Ärzte müssen für unerwünschten Nachwuchs finanziell haften“ verwirrten die Leser. Sollte es denn tatsächlich so gemeint sein, daß bei jeder fehlgeschlagenen Sterilisation, die ein Kind zur Folge hat, der behandelnde Arzt zu Unterhaltszahlungen verdonnert werden kann?

Daß Ärzte für ihre fahrlässigen Fehler haftbar gemacht werden können, ist im Prinzip nicht neu. Nicht überraschend ist auch die Beobachtung, daß, geht es um die Sterilisation, dem Thema häufig etwas juristisch Fragwürdiges anhaftet. Es will in der Bundesrepublik scheinbar nicht so recht gelingen, „Sterilisation als Kontrazeptionsmethode“ von einer eher positiven Seite zu sehen. So zog sich noch Jahre durch die medizinische Fachliteratur die Vermutung, daß die Sterilisation zur Familienplanung „gegen die guten Sitten“ verstoßen könnte – selbst als in der juristischen Praxis schon lange keine Rechtsunsicherheit mehr bestand.

Vor einiger Zeit wurde ein Zeitungsartikel über die Vasektomie, wie die Sterilisation des Mannes genannt wird, mit der Überschrift „Papi grüßt als Wallach“ eingeleitet. Auch hier wurde der Eingriff als Problem definiert. Entweder sind es Urängste oder Unwissenheit, die dazu führen, daß die Sterilisation des Mannes so einseitig und dann zumeist negativ dargestellt wird. Nicht selten wird die Vasektomie gar mit der Kastration verwechselt.

Mit dem Karlsruher Urteil besteht nun die Gefahr, daß sich erneut eine falsche Assoziation bei den Bürgern einschleifen könnte: Die Sterilisation mißlingt, und sie führt zu einem „Kind als Schaden“. Und wer ist dann Schuld? Na klar, die Sterilisation selbst.

Jede Kontrazeptionsmethode kann versagen. Die Sterilisation ist davon nicht ausgenommen. Dabei wird häufig vergessen: Die Sterilisation des Mannes ist eine der sichersten Verhütungsmethoden überhaupt. Sie sollte jedoch auch als endgültig angesehen werden. Eine Refertilisierungsoperation ist zwar möglich, jedoch nur bei fünfzig bis siebzig Prozent der so unfruchtbar gemachten Männer.

Die Vasektomie ist eine chirurgische Kontrazeptionsmethode, bei der, meist in lokaler Betäubung, durch zwei sehr kleine Hautschnitte im oberen Drittel des Hodensackes die paarig angelegten Samenleiter durchtrennt werden. Häufig vernähen die Arzte die Enden noch in unterschiedliche Gewebeschichten. Damit wird verhindert, daß die Samen den Hoden verlassen können. Sie werden vom Körper einfach resorbiert.

Der Eingriff dauert in der Regel nur wenige Minuten. Ernsthafte Komplikationen treten im Prinzip so gut wie nie auf. Todesfälle bei fachgerechter Anwendung sind nicht bekannt. Leichtere Komplikationen hingegen können durchaus auftreten. Sie sollten auf jeden Fall ärztlich abgeklärt werden. Meistens klingen sie jedoch binnen weniger Tage ohne bleibenden Schaden ab. Wichtig bei dem Eingriff ist vor allem, daß nach der Operation zwei- bis dreimal das Ejakulat mikroskopisch auf überlebende Spermien untersucht wird.

Die Kontrollen stellen eine Qualitätssicherung hinsichtlich des Operationserfolgs dar und sollten unbedingt durchgeführt werden. Nach einigen Wochen beziehungsweise nach zwei bis drei Dutzend Ejakulationen dürften nach fachgerechtem operativem Eingriff keine lebenden Spermien mehr im Ejakulat nachweisbar sein. Bis dahin muß natürlich noch anderweitig verhütet werden. Auch wichtig ist, daß den durchtrennten Samenleitern pro Seite eine Gewebeprobe entnommen wird, um zu überprüfen, ob es sich auch tatsächlich um Samenleitergewebe handelt und nicht etwa um ein Blutgefäß. Die beiden Kontrollmaßnahmen gehören zu der Methode dazu. Ohne sie kann nicht von einem kunstgerechten Eingriff gesprochen werden. Erst nach ihrer Durchführung kann der Erfolg der Operation wirklich beurteilt werden.

In seltenen Fällen gibt es Männer mit drei Samenleitern, so daß nach der Durchtrennung von zwei Samenleitern einer intakt bleibt. Dies würde jedoch im Kontrollspermiogramm dadurch auffallen, daß der Probant nach wie vor lebende Spermien ejakuliert. Sehr selten, aber doch möglich ist auch, daß es zu einer spontanen Rekanalisation kommt. Längere Zeit nach dem Eingriff tauchen dann wieder lebende Spermien im Ejakulat auf. Statistisch gesehen ist etwa einer von tausend sterilierten Männern davon betroffen.

Der Arzt muß den Klienten auf die Notwendigkeit der spermiologischen Nachuntersuchung hinweisen und sollte dies auch in seinem eigenen Interesse dokumentieren. Damit allerdings hat er seiner Sorgfaltspflicht genüge getan. Sollte der Klient es vorziehen, keine Nachuntersuchung an sich vornehmen zu lassen, so fällt dies in seinen eigenen Verantwortungsbereich. Die Behandlung kann dann jedoch nicht als abgeschlossen angesehen werden.

Sollte der Arzt keine Gewebeprobe entnehmen oder den Klienten nicht über die Notwendigkeit eines Kontrollspermiogramms informieren, so könnte dies bei einer ungewollten Schwangerschaft als Kunstfehler gewertet werden. Der für das Versäumnis verantwortliche Arzt würde bei einer Unterhaltsklage haftbar gemacht werden können.

Eine Befragung von 460 deutschen Urologen ergab, daß nur 91,7 Prozent eine histologische Untersuchung der durchgeschnittenen Samenleiterenden durchführen. Eine spermatologische Kontrolle nahmen 94,7 Prozent vor. 80 Prozent der befragten Urologen hielten zwei und weniger als die Hälfte drei Kontrollen für notwendig. Nach dem jüngsten Urteil aus Karlsruhe dürften sich die Ärzte, die auf die notwendigen Kontrollen verzichten, sehr gut überlegen, ob sie nicht doch lieber diese qualitätssichernden Maßnahmen in ihren Angebotskatalog aufnehmen sollten.

Die Vasektomie gilt als der weltweit häufigste operative Eingriff bei Männern. Global gesehen sind nach Angaben der WHO genauso viele Männer vasektomiert wie Frauen die Pille nehmen, jeweils 60 Millionen. Auffallend ist die vergleichsweise niedrige Vasektomierate in Deutschland mit unter drei Prozent. In den Niederlanden, den USA und in Großbritannien sind jeweils zehn Prozent, in China zwölf und in Kanada dreizehn Prozent der Männer vasektomiert. In den USA ist sogar jeder fünfte der über 35jährigen verheirateten Männer vasektomiert.

Warum Deuschland in Sachen Vasektomierate im internationalen Vergleich ein Schlußlicht darstellt, bleibt unklar. Ein Grund könnte sein, daß die Vasektomie in der Öffentlichkeit vor allem als Problem und nicht als eine mögliche und sinnvolle sichere Kontrazeptionsmethode behandelt wird.

Da Ärzte als „Verwalter“ der sichersten Verhütungsmethoden betrachtet werden können, wird ihre Meinung über die verschiedenen Möglichkeiten maßgeblich das Verhütungsverhalten der Bevölkerung beeinflussen. Vermutet werden muß, daß die Vasektomie in der BRD seitens der Ärzteschaft als unattraktiv und unbedeutend angesehen wird. Dies legt zumindest eine Analyse der gängigen medizinischen Sekundärliteratur und der Kongresse der Urologie und Andrologie nahe.

So haben sich in einem Zeitraum von über dreißig Jahren lediglich sechs von 3.822 Vorträgen auf den Tagungen der „Deutschen Gesellschaft für Urologie“ mit der Vasektomie beschäftigt. Und nur in vier von sieben Urologiefachbüchern wird die Notwendigkeit eines postoperativen Kontrollspermiogramms erwähnt. Lediglich drei der Urologiebuchautoren empfehlen eine histologische Kontrolle der Samenleiterenden. Wen wundert es da noch, daß einige Urologen „wie im Lehrbuch“ handeln und diese notwendigen qualitätssichernden Kontrollen nicht durchführen.s

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen