: Das Sterben im Südirak geht weiter
■ Schiitendelegation in Bonn berichtet von neuen irakischen Angriffen/ US-Regierung wiegelt ab/ Bis zu einer Million Schiiten verstecken sich noch in den südirakischen Sümpfen/ Delegation fordert „gleichen moralischen Standard“ wie für Kurden
Berlin (taz) — Die irakische Armee griff in der Nacht auf Dienstag nach Angaben von irakischen Oppositionellen Schiiten im Südirak an. Das irakische Militär soll mit drei Divisionen, darunter zwei Panzereinheiten und mehreren Helikoptern, einen Angriff auf die südirakischen Sümpfe begonnen haben. Das berichtete gestern Mohammed Saleh, ein schiitischer Widerstandskämpfer, der sich zur Zeit mit einer Delegation schiitischer irakischer Oppositioneller in Bonn aufhält, gegenüber der taz. Saleh, der sich auf Angaben von Flüchtlingen berief, die in der Nacht auf Dienstag vom Irak nach Jordanien geflohen seien, erklärte, der Angriff habe sich auf die Gegend von Ahwar im Süden der Sümpfe konzentriert, wo sich viele schiitische Rebellen versteckt hielten. Die Kämpfe sollen gestern nachmittag noch angedauert haben. Saleh befürchtete, daß „die irakische Armee dort Giftgas einsetzt, denn sie habe es in dieser Region schon während des iranisch-irakischen Krieges benutzt“. Während dieses „ersten Golfkrieges“ hatten sich Tausende irakische Deserteure in die Sümpfe geflüchtet. Die irakische Führung ging mit Giftgas gegen sie vor, ohne dabei Rücksicht auf die dort lebende Zivilbevölkerung zu nehmen. Daß die irakische Führung auch bei der Niederschlagung der Schiiten nicht vor dem Einsatz von Giftgas zurückschreckt, zeigte sie nach Aussagen von Saleh und anderen schiitischen Oppositionellen bereits im März in Kerbala. Die für Schiiten heilige Stadt soll die Armee damals unter Einsatz von Giftgas von den Aufständischen zurückerobert haben.
Nach Berichten des iranischen Fernsehens war es schon am Montag zu schwereren Kämpfen in den südirakischen Sümpfen gekommen. Besonders in der südirakischen Stadt Amara würde heftig gekämpft, in iranischen Dörfern nahe der Grenze sei Explosionslärm zu hören gewesen, berichtete der Sender. Die USA reagierten abwiegelnd auf die Berichte aus Teheran. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums erklärte nach Angaben der 'Washington Post‘ vom Dienstag, die USA hätten „keine Hinweise auf eine Ausdehnung der irakischen Militäraktivitäten im Südirak“. Wohl aber käme es in der Region immer mal wieder zu Kämpfen auf „kleinem Niveau“.
In den Sümpfen sollen sich noch zwischen 500.000 und einer Million Schiiten aufhalten, die dorthin geflohen sind. Die meisten von ihnen sitzen in den Sümpfen fest, da irakische Sondereinheiten die Grenze zum Iran blockieren. Die irakischen Spezialeinheiten waren nach Beginn der kurdisch-irakischen Verhandlungen in Bagdad aus dem Norden des Landes abgezogen worden und werden nun gegen die Schiiten im Süden eingesetzt. Schiitische Oppositionelle hatten in den letzten Wochen wiederholt vor einem bevorstehenden „Genozid“ der irakischen Armee an den Schiiten in den südirakischen Sümpfen gewarnt. Nach Angaben aus Teheran plant die irakische Führung seit Wochen eine Großoffensive mit dem Namen „An-Nawafil“. „An- Nawafil“ hatten die Iraker auch 1988 den Giftgaseinsatz gegen Kurden im Nordirak genannt.
Die Delegation irakischer Schiiten will nun die Bundesregierung für die Unterstützung eines UN-Beschlusses gegen die Massaker im Südirak gewinnen. Saleh erklärte gegenüber der taz: „Wir sind froh, daß die internationale Gemeinschaft die Kurden im Nordirak unterstützt, und wir erwarten von ihnen den gleichen moralischen Standard uns gegenüber.“ taud
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