■ Österreich: SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky tritt zurück: Das Schlimmste verhindern
Franz Vranitzky ist, was bei einem Politiker nicht nur ein Kompliment ist, ein netter Mann. Jener unbändige Wille zur Macht, wie er so augenfällig von seinem deutschen Amtskollegen verkörpert wird, wurde Vranitzky nie nachgesagt. In diesem Stil inszenierte er jetzt auch seinen Abgang. Er wollte einfach nicht mehr; also ging er. Als wär's die natürlichste Sache der Welt. Vieles, was er nun seinem Nachfolger Viktor Klima als Erbe hinterläßt, erklärt sich aus dieser Mentalität des Vorgängers. Dieser entdeckte in den zehneinhalb Jahren seiner Kanzlerschaft immer dann seine Kämpfernatur, wenn es darum ging, das Schlimmste zu verhindern. Er ist der personifizierte Das-Schlimmste-Verhinderer.
Er hat verhindert, da das Land in den sechs Jahren der Waldheimära vollends zum Albanien des Westens wurde, er verhinderte den Machtanspruch von Jörg Haiders freiheitlicher FPÖ oder zumindest eine rechts-rechte Koalition unter Einschluß derselben. „Vranitzky oder Barbarei“, das war im Grunde die permanente und geheime Wahlkampfparole der SPÖ und mit dieser verhinderte sie lange Zeit, daß der Erosionsprozeß, der auch die österreichische Sozialdemokratie erfaßt hatte, so radikal durchschlug wie etwa bei den deutschen Genossen. Bis selbst Vranitzky die Krise nicht mehr verdecken konnte, die Sozialisten erst bei den Parlamentswahlen 1994 absackte, um zuletzt, bei den Europawahlen, regelrecht abzustürzen, auf deutlich unter 30 Prozent.
Jetzt kommt auch nicht gleich die Barbarei, sondern erstmals Viktor Klima, bisher Finanzminister. Da es, um die vom Erfolgsrezept zur Sackgasse gewordenen Konstellation des ewigen, bloß das Schlimmste-verhindern-Wollen, aufzubrechen, mehr bräuchte als Alltagstechnokratismus, ist angesichts der Krise der Wiener Politik offensichtlich. Daß Klima hierfür die geeignete Person ist, dafür spricht nichts. Wäre er mehr als die bloße Fortsetzung Vranitzkys mit noch bescheideneren Mitteln, wäre dies eine Überraschung.
Sollten sich hinter dem proletarischen Charme des bisherigen Finanzministers nicht höchst erfolgreich versteckte Qualitäten verbergen, dann personifiziert er die Ideen- und Phantasielosigkeit an der Macht. So verdichtet sich in dem Neuen vom Ballhausplatz das Grunddilemma der europäischen Sozialdemokratie: Ratlosigkeit. Robert Misik
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen