: Das Sauriermodell
Der Sammelband „Bignes?“ kritisiert die „unternehmerische Stadt“. Die rund zwei Dutzend Beiträge zeigen, wie das öffentliche Anliegen stets fast fließend in privatwirtschaftliches Kalkül überwechselt
von HARALD FRICKE
Für den niederländischen Architekten Rem Kolhaas ist „Bigness“ die höchste Form des Bauens. Nur in Großprojekten wie seinem eigenen „EuraLille“-Bahnhof sieht er noch die Möglichkeit einer Stadtplanung am Werk, die „die geballte Intelligenz der Architektur“ mobilisieren könne.
Die Texte, die Jochen Becker für den Band „Bignes?“ gesammelt hat, haben mit dieser Sichtweise Probleme. In gut zwei Dutzend Beiträgen wird die „unternehmerische Stadt“ kritisiert, wie sie im Zuge der Privatisierung des öffentlichen Raums entstanden ist. Dazu gehört auch die Imagepolitik, von der solche Umwidmungen visuell und rhetorisch flankiert werden. Gerne geht das Versprechen vom Schöner Shoppen auch mit der Forderung nach Zero Tolerance gegenüber unerwünschten Personen, vom Obdachlosen bis zu herumlungernden Jugendlichen, zusammen.
Die entsprechenden Fallstudien reichen vom Pariser Stade de France bis zum CentrO Oberhausen. Stets folgt die Stadtentwicklung dabei der gleichen Logik: Um eine Region vor dem wirtschaftlichen Verfall zu retten, werden gewaltige Urban Entertainment Center gebaut. Dabei wickeln stets Investoren den Umbau ab. Der Anschub wird allerdings von den Kommunen finanziert, damit neben Sicherheiten überhaupt ein Anreiz für die Geldgeber besteht.
Fast fließend wechselt das öffentliche Anliegen in privatwirtschaftliches Kalkül. Sobald der neue Gebäudekomplex fertiggestellt ist, folgt in den meisten Fällen die Ernüchterung: Statt gehobene Arbeitsplätze zu schaffen, finden später fast nur Billiglohnkräfte Jobs. Die Auslastung durch Geschäfte ist in der Regel dürftig, eher schon kommt es zu einer Umschichtung der städtischen Einkaufszonen. So existieren mit CentrO in Oberhausen jetzt gleich zwei lediglich halb genutzte Citybereiche. Und die Anwohner des Stade de France warten noch immer darauf, dass durch den Neubau des WM-Fußballstadions 1998 der wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aufschwung zu Stande kommt.
Mit dichten Beschreibungen und detailreichen Ortskenntnissen spannen die Autoren und Autorinnen von „Bignes?“ einen weiten Bogen in Sachen fehlgelaufener Stadtplanung. So schildert Ludger Basten in seinem Aufsatz über Oberhausen die Interessenskonflikte der SPD-regierten Lokalpolitik – offenbar ist Ämterhäufung im Umgang mit Investorenmodellen nicht allein eine Berliner Krankheit. Im Pariser Vorort Saint Denis war es dagegen die gute Absicht der regierenden Kommunistischen Partei, mit dem erhofften Aufschwung auch kulturelle und ethnische Konflikte zu besänftigen. Zu Recht fragt Gunnar Ullbrich in seinem Text danach, inwieweit diese Festlegung auf Stereotype nicht schon eine vorauseilende Stigmatisierung der Bewohner darstellt, die sich möglicherweise in den Zentren aus „Beton, Gigantismus und Langeweile“ ganz gut eingerichtet haben. Noch schärfer spitzt Mogniss H. Abdallah von der 1983 gegründeten MigrantInnenorganisation „agence IM’média“ die Situation zu: „Es scheint, als sei etwas im Namen der ‚sozialen Durchmischung‘ und der ‚neuen Wohnform‘ auf den Weg gebracht, um den – mit wiedergefundenem Vertrauen ausgestatteten – Mittelklassen über eine Bevölkerungsumsiedlung den von ihnen gewünschten Zugang zu verschiedenen, im Sozialpark entstehenden Eigentumsformen zu geben.“
Der Weg von der falschen Stadtentwicklung, die an den Verhältnissen vorbeiplant, führt zu einer Forderung nach mehr Engagement gegen die neoliberale Politik. Plötzlich ist man vom Pariser Stadtrand bei den karnevalesken „Reclaim the Streets“-Aktionen in der Londoner City angelangt – auch weil das Buch zu einem neuen „städtischen Handeln“ auffordern will.
Glücklicherweise bleiben dabei Trennlinien erhalten, vermischt sich das Ganze nicht mit Stories vom WTO-Widerstand zum allgemeinen Furor angesichts der Globalisierung. Die besten Argumente liefert ohnehin der kalte Blick auf die Kontrollmechanismen, die sich dem städtischen Alltag eingeschrieben haben. Dazu zählen auch die sehr konkreten Bildstrecken des Buches: von Arnold Schwarzeneggers Besuch als „Planet Hollywood“-Impresario bei den Vermarktern von CentrO bis zur Versteigerung des Pleiteunternehmens „Millennium Dome“. In der visuellen Engführung merkt man, wie schnell das Spektakel um Shopping Malls zum Auslaufmodell werden kann. „Bigness“ ist in der Tat etwas für Saurier. Von allein wird die Idee der durchkapitalisierbaren Stadt dennoch nicht aussterben.
„Bignes?“, herausgegeben von Jochen Becker, 270 Seiten, b_books Berlin 2001, 32 DM
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