: Das Rührgebiet
Die große Koalition will den Kohlebergbau 2018 endgültig stilllegen. Was wird dann aus dem Ruhrgebiet? Eine noch sentimentalere Erinnerungslandschaft – mit einer noch profitableren Zukunft
VON CHRISTOPH SCHURIAN
Die Steinkohle kann niemand mehr beerdigen. Der Energieträger ist längst ein untoter Zombie wie seine fossilen Verwandten – die Dinosaurier. Und das Ruhrgebiet ist der Jurassic Park der großen Gefühle um Kohlestaub und Arbeit. Wenn in ein paar Jahren, vielleicht erst 2018, die allerletzte Lore aus dem Bergwerk West in Dinslaken gezogen sein wird, geht es erst richtig los.
Das Ruhrgebiet hat eben nah am Wasser gebaut. Würden die mehr als 3.000 Grubenpumpen abgestellt, stünde zwischen Duisburg und Hamm jeder dritte Quadratmeter unter Wasser. An dieser Altlast trägt das Ruhrgebiet. Die Politiker, die in diesen Tagen den deutschen Steinkohlebergbau endgültig beenden werden, nennen das Ewigkeitskosten – was natürlich viel zu kurz gedacht ist.
Denn ohne die stillgelegten Zechen wäre das Ruhrgebiet niemals zur Kulturhauptstadt Europas 2010 geworden – und zur Nachfolgerin Weimars. Die Überreste der Montanfabrikation sind endgültig ein Klassiker, seit die Juroren aus Deutschland und aus Europa die Ruhrstadt und Essen zur europäischen Metropole erklärten. Bei der Bewerbung hat die Region mit ihrer zerstörten Vergangenheit gewuchert, mit Ausstellungsräumen tausend Meter unter der Erde, Brachland zwischen Emscher und Kanal, mit leeren Hüllen, die die Kultur so gut gebrauchen kann. In Bochum, Herne oder Dortmund werden nicht Lager oder Speicher zu teuren Lofts und Galerien – durch Zechensterben und Stahlkrise öffneten sich hinter den Werksmauern gleich verbotene Großstädte.
Irgendwann in den 1970er-Jahren entdeckten Planer, Landespolitiker und Architekten die Industriekultur für sich, und der Strukturwandel von der Schwerindustrie über Dienstleistung, Wissenschaft und Altenwirtschaft bekam die weichen Standortfaktoren, die er braucht. Innerhalb von zehn Jahren „Internationale Bauausstellung Emscher Park“ haben sie unzählige neue Freizeitwelten erschlossen. Besucher dürfen sich seither auf erloschenen Kokereien und Hochöfen, in Zechen und Walzwerken wie herumstromernde Kinder fühlen.
Nach den ersten Expeditionen haben sich die Menschen im Ruhrgebiet natürlich daran gewöhnt: Längst feiern sie Geburtstag zwischen hünenhaften Transmissionen, heiraten in Waschkauen, laufen Schlittschuh an Koksbatterien, hören Oper in Maschinenhallen. Bald soll ein Hüttengelände geflutet werden, kleine Segelboote schwimmen dann darauf, IT-Experten sollen am Wasser wohnen dürfen. Für Auswärtige bleiben die Ruinen ein Spektakel. Für Einheimische eine große Chance.
Die schwarzen Fahnen an den dichtgemachten Zechen knattern immer noch im Sturm. Die Zechensiedlungen stehen noch, nun sind es gepflegte Eigenheime in privater Hand. Optisch bleibt das Ruhrgebiet die Arbeitergegend der Bundesrepublik. Wer herkommt, will wie in Liverpool oder Manchester die Aura der Kämpfe fühlen: harte Maloche, Männerschweiß, Bier und Schmutz. Wie es aussieht, werden die elf Zechenschließungsjahre schöne Jahre für das Gebiet, schön traurige Jahre.
Eine traditionsreiche Kokerei im Dortmunder Norden war die Erste, die aus der Not eine Tugend machte: Weil Pflanzen die Fabrikmauern sprengten, die Schamottesteine in den Batterien verrotteten, der Zerfall nicht aufhaltbar war, haben sie einfach einen kräftigen Drahtzaun herumgezogen und Aussichtspunkte auf das Gestern angelegt. Auf Kokerei Hansa nennen sie das den „kontrollierten Verfall“. Eine Touristenattraktion.
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