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■ Das PortraitMatthias Ulrich

Von der Amts- in die Bierstube Foto: Peter Gercke

Wer nichts wird, wird im Volksmund immer noch Wirt, aber einer wie Matthias Ulrich gibt dafür nicht nur eine „Lebensstellung“ auf, sondern auch seine ostdeutsche Heimat. Der Magdeburger SPD-Oberbürgermeister Willi Polte machte alles andere als Freudensprünge, als ihm sein personifiziertes Sprachrohr mitteilte, daß er ab Anfang April den Medien allein gegenübertreten müsse. Den 32jährigen OB- Pressesprecher Ulrich zog es mit Kind und Kegel in wärmere Gefilde. Er wanderte aus und betreibt seit gestern gemeinsam mit seiner Frau eine Kneipe im italienischen La Spezia. Angefangen hatte alles mit einer Anzeige in einer überregionalen Tageszeitung. „Ehepaar sucht interessante Tätigkeit, möglichst im Ausland“ annoncierte Ulrich im September. Neben vielen anderen meldete sich der Besitzer der „Bayerischen Bierstuben“ in La Spezia.

„Wenn ich nicht die Amtskette meines Chefs geklaut hätte, dann hätte ich bis zur Rente im öffentlichen Dienst bleiben können“, meint der Mann aus dem Amt für Öffentlichkeitsarbeit. „Eine grauenhafte Vorstellung.“ Die Entscheidung, ins Ausland zu gehen und dort völlig neu anzufangen, sei ihm durch „die neue Mentalität“ seiner ostdeutschen Landsleute erleichtert worden. „Dieses selbstmitleidige Ossi-Bewußtsein, die traurige Miene als Einheitsgesicht, das alles geht mir gegen den Strich“, findet der gelernte Eisenbahner und Schauspieler Ulrich, den erst die Wende ins Magdeburger Rathaus spülte. „Damit kann man es sich natürlich recht einfach machen, man findet immer und für alles einen Schuldigen.“

Aber auch die Kapriolen seines Chefs bereiteten ihm manchmal Unbehagen. Zum Beispiel, wenn Sozi Polte dem durch die Gehälteraffaire gestürzten Ex-Ministerpräsidenten Werner Münch (CDU) nach dessen letzter Parteitagsrede seine Solidarität mit einer kräftigen Medienschelte erwies. „Da ist er halt spontan und impulsiv“, charakterisiert Ulrich den OB. „Und das Naturell eines Menschen zu verändern ist ohnehin nicht mein Ding.“ Vor allen Dingen aber hatte Matthias Ulrich Angst, daß ihn nach der Aufbauphase in Magdeburgs Stadtverwaltung die Routine einholen könnte: „Ehe in den nächsten vier Jahren doch noch ein Bürohengst aus mir wird, haue ich lieber ab und mache etwas ganz anderes.“ Und wird Wirt. löb

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