Das Portrait: Minimal-Artist und Mahnmal-Aussteiger
■ Richard Serra
Die Nachricht kam überraschend. Nachdem er im Gespann mit dem Architekten Peter Eisenman in die engere Auswahl gekommen war, sagte der New Yorker Künstler Richard Serra am Montag seine Mitarbeit an dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas ab. Er habe sich nicht aus Enttäuschung über die zähe Mahnmal-Debatte zurückgezogen, ließ er seinen Bochumer Galeristen Berswordt-Wallrabe mitteilen, sondern aus „persönlichen und professionellen“ Gründen.
Die Formulierung macht deutlich, daß Serra trotz allem Bauchschmerzen bei dem Projekt hatte. Dabei reichen Querelen um die Arbeiten des 1939 geborenen Bildhauers immerhin bis in die Anfänge von Minimal art zurück. Seit 1968 arbeitet Serra mit Stahlplatten, deren gewaltige Masse er so ausbalanciert, daß sie für den Hauch einer Berührung aneinanderlehnen. Als er damit 1972 auf der documenta V zu sehen war, gab es vernichtende Kritiken für die Mischung aus Schrottplatz, Geometrie und Rauminszenierung. Serras Hintergrund war indes politisch: Eine Skulptur sollte nicht Realität abbilden, sondern das Publikum in die räumliche Situation einbeziehen. Dadurch könnte sich auch eine neue Sicht auf die eigene Wirklichkeit ergeben – die Kunst im öffentlichen Raum als Ausdruck kollektiver Bedürfnisse nach Öffentlichkeit.
Diese Idee brachte Serra nicht nur Freunde. So war seine „Tilted Arc“ 1981 als Kunst-am-Bau-Projekt für den Federal Plaza vom New Yorker Rechts- und Verwaltungszentrum realisiert worden. Doch schon wenige Tage nachdem die 36 Meter lange gewölbte Stahlwand aufgestellt war, beschwerte sich der Richter Edward Re über den Entwurf: Die monumentale Wand sei eine Verhöhnung des Gerichts, und überhaupt werde mit ihr die Sicherheit des Platzes gefährdet – schließlich könnten Terroreinheiten im Schutz der Mauer das Verwaltungshaus angreifen. Nach vier Jahren Streit beschloß ein städtisches Greminum die Demontage von „Tilted Arc“ – ausgerechnet per Mehrheitsentscheid im Rahmen eines öffentlichen Hearings. Der Fall wurde 1991 en detail in einem Buch dokumentiert. Mit dem Berliner Denkmal wird es vermutlich nicht soweit kommen. Laut Serra ist selbst die Diskussion um Veränderungswünsche des Kanzlers „ein erfreulich konstruktiver Dialog“ gewesen. Harald Fricke
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