Das Portrait: Die Kunst des kreativen Lügens
■ Ingmar Bergmann
In seiner Kindheit habe er gerne und kreativ gelogen. So behauptete er häufig, sein Vater sei gar nicht sein richtiger Vater. Er sei der Sohn eines berühmten Schauspielers und werde von diesem Pastor Bergman gehaßt und verfolgt. Zudem war der kleine Ingmar dem Kino verfallen. Er tauschte die Hälfte seiner Zinnsoldaten gegen den Kinematographen seines älteren Bruders und kaufte ständig kurze Filme, die er dann mit Essigäther aufeinanderklebte. Bei der Vorführung dieser stummen Sammelsurien erfand er tolle Handlungen, die er seiner Schwester vortrug. Natürlich rannte er nebenbei, sooft es ging, ins große Filmtheater.
Ergänzt durch die Lektüre von Cocteau, Kafka und Strindberg, hat Bergman darauf ein Werk gebaut, das von Kritikern wie Verehrern Ehrfurcht verlangt: mehr als 50 Kino- und Fernsehfilme, ungezählte Theater- und Operninszenierungen in Stockholm, München und Hamburg sowie drei Romane und Memoirenbände. Es geht immer um ein großes Thema: die Suche der Menschen nach Wahrheit – über sich selbst, über ihre Beziehungen zu anderen Menschen und ihr Verhältnis zu Gott. Während in seinen frühen Filmen nach 1945 junge Menschen der bürgerlichen Welt entfliehen wollen, um ihr individuelles Glück zu finden (“Die Zeit mit Monika“, 1953), wirft er danach religiöse Fragen auf: Können wir durch Glauben eine bessere Welt gestalten? Was machen wir, wenn es keinen Gott gibt? (“Das siebente Siegel“, 1957). Bevor er 1962 in „Licht im Winter“ seinen Protagonisten nur mehr lakonisch fragen läßt: „Wenn es wirklich so ist, daß Gott nicht existiert, was macht es schon?“
Zunehmend skeptisch sah er sowohl den Glauben als auch die Fähigkeit der Menschen zur Liebe (“Szenen einer Ehe“, 1973/75). In seinen radikalsten Filmen verengen sich die Räume, Großaufnahmen zeigen nur noch Köpfe, oft seitlich versetzt, aufeinandergelehnt, dann wieder sprechende Münder, horchende Ohren und leer blickende Augen. Truffaut war davon früh begeistert, während Godard sich von Bergman in den 60ern animieren ließ, Frauen zu Helden in seinen Filmen zu machen. In seinem letzten großen Film „Fanny und Alexander“ hat Ingmar Bergman bereits 1982 ein versöhnliches und heiter gelassenes Resümee seines Lebens und seines Werkes gezogen. Daniel Haufler
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