■ Das Portrait: Dantes Asche
Er ist für Italien so etwas wie Deutschlands geistige Olympiergilde Goethe, Schiller, Hölderlin und Rilke in einem: Dante Alighieri, 1265-1321, dessen verloren geglaubte Urne eben wiedergefunden wurde, wird noch immer alljährlich Millionen Studenten und Schülern zum täglichen Martyrium: Seine „göttliche Komödie“ – die er selbst nur „Komödie“ genannt hatte, gilt als Grundtext der gehobenen Spracherziehung schlechthin, die Urzelle des Italienischen (in der Tat von Dante erstmals gegen das Latein als literarische Sprache durchgesetzt). Kaum ein Abiturexamen ohne Bezug auf den Dichterfürsten, kaum ein Sprichwort, das sich nicht auf eine Stelle aus dem „Inferno“ (Hölle), „Purgatorio“ (Fegefeuer) oder „Paradiso“ zurückführen läßt, in die der große Florentiner sich vom noch größeren antiken Kollegen Virgilius führen läßt. Und immer sollen die Schüler wissen, was der machtvolle Wortjongleur sich denn dabei gedacht hat, wen er erreichen wollte, und natürlich warum.
Dieser schwer erkennbare, versiegelte Sack enthält die Asche von Dante Alighieri
Foto: AP
Viel Bildung, ein ganzes Weltbild kommt da natürlich zum Vorschein, aber oft stand freilich wohl höchst Profanes dahinter: Rachsucht etwa durchzieht nicht selten sein Werk, und manchen seiner Zeitgenossen verbannt er in die Hölle, weil der ihm irgendwann geschadet hatte. Tatsächlich war Dantes Leben auch seinerseits nicht selten von den Rankünen böser Mitmenschen getrübt, den Welfen etwa, die Dantes Familie nach ihrer Rückkehr an die Macht in Florenz 1302 aus der Stadt verbannten, woran er sein Leben lang litt (er starb in Ravenna); mehr wohl hat ihn aber noch die ewige Ferne seiner Beatrice verstört, ein Mädchen, das er im Alter von neun Jahren zum ersten Mal sah und neun Jahre danach noch einmal, und das er in Gedichten und schmachtenden Briefen anhimmelte, aber nie erreichte.
Weil er italienisch dichtete, galt und gilt er als der Überwinder des lateinischen Mittelalters. Die junge Humanistengarde des 14. Jahrhunderts um Petrarca und Boccaccio sah in seinem Werk den ersten Schritt aus dem „dolce stil nuovo“, der rein höfischen Lyrik, die noch seine eigenen Jugendjahre geprägt hatte.
Nun also hat Italien seinen Dante wieder. Genauer gesagt, seine Asche: Irgendjemand hatte vor 70 Jahren das Pulverfäßchen einfach in eine Tüte gesteckt und in ein Fach des Staatsarchivs verräumt. Aber so hat der Dichter wenigstens, als Gegengewicht zum Studentenquäler, auch wieder eine ökonomische Valenz als Touristenmagnet. Werner Raith
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