Das Portrait: Gerontokrat wider Willen
■ Jyoti Basu
Jyoti Basu hat die Schnauze voll. Mit 86 Jahren möchte er sich endlich zur Ruhe setzen. Das hat er sich verdient, findet er. Doch er darf nicht. Immer noch nicht. Das hat das Politbüro seiner Kommunistischen Partei Indiens – Marxisten (CPM) kürzlich beschlossen. Seit 22 Jahren ist Genosse Basu schon Chefminister des ostindischen Unionsstaates West-Bengalen (72 Millionen Einwohner), einem von zweien unter Führung der CPM. Damit ist er nicht nur der am längsten amtierende Regierungschef eines indischen Bundesstaates, sondern wohl auch der am meisten (fünfmal) demokratisch gewählte kommunistische Politiker der Welt.
„Ich sage der Partei seit zwei Jahren, selbst der Allmächtige muss mal abtreten“, erklärte Basu. Doch die Partei mag nicht hören. Denn wer außer dem allseits anerkannten Basu soll die Partei und die von ihr in West-Bengalen geführte Linke Front zusammenhalten. Was der Congress-Partei die Gandhi-Familie, ist Basu für die 700.000 Mitglieder der CPM. Zum Glück konnte er sie im April nach dem Sturz der Regierung in Delhi davon abhalten, ihn auch noch zum Kandidaten für das Amt des Premiers zu machen. Dafür war er schon 1996 vorgeschlagen worden, musste damals aber noch auf Druck der Partei ablehnen.
Indiens KP-Führer Jyoti Basu (86) darf nicht in den Ruhestand Foto: AP
Jetzt erklärte das Politbüro, dem auch Basu angehört, dass „angesichts der komplexen politischen Situation und seiner großen politischen und administrativen Erfahrung“ Basus Dienste weiter benötigt würden. Deshalb werde er aufgefordert, „seinen Verpflichtungen nachzukommen“. Dazu Basu: „Was soll ich tun? Ich muss auf meine Partei hören. Ich werde weitermachen, solange es meine Gesundheit erlaubt.“
Als Entgegenkommen beschloss die CPM lediglich, dem kränkelnden und ohnehin nur halbtags an seinem Regierungssitz in Kalkutta arbeitenden Basu einen Stellvertreter zu besorgen. Das lässt befürchten, dass die CPM unter Basus Führung auch noch die nächsten Wahlen in West-Bengalen im Jahr 2001 bestehen will.
Basu, der in den 30er-Jahren in London Jura studierte, ist nicht nur charismatisch. Der Pragmatiker gilt über linke Kreise hinaus als einer der respektiertesten indischen Politiker. Seine Politik ist eher sozialdemokratisch als kommunistisch und sehr freundlich zu ausländischen Investoren. Doch nicht einmal vereinzelte Berichte über Vetternwirtschaft verhalfen Basu in den ersehnten Ruhestand. Sven Hansen
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