Das Paläon: Speerspitzen der Archäologie
Die Schöninger Speere haben eine museale Heimat an ihrem Fundort bekommen. Nun sind sie zu sehen: die Jagdwaffen, die das Bild des frühen Menschen revolutionieren.
SCHÖNINGEN taz | Wuchtige Quader schräg aufeinander getürmt, viel Glas, mit Aluminium verspiegelte Wände. Wie ein Flughafen für Raumschiffe glitzert das Paläon aus der Ferne. Der imposante, von einem Züricher Architekturbüro entworfene Bau beherbergt spektakuläre Funde aus der Altsteinzeit – die „Schöninger Speere“ gelten als archäologische Sensation.
Am Montag eröffnete Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) vor knapp 500 geladenen Gästen das Erlebnis- und Forschungszentrum im Kreis Helmstedt, heute öffnet das Paläon seine Pforten auch für das breite Publikum.
Sieben Speere und eine Lanze aus Holz hatten Archäologen zwischen 1994 und 1998 im aufgegebenen Schöninger Braunkohletagebau ausgebuddelt. Außerdem fanden sie mehr als 10.000 Knochen von Wildpferden, Bären, Auerochsen, Waldelefanten, dazu weitere Speerbruchstücke und ein Wurfholz. Das Alter der – bis auf einen – aus Fichtenholz gefertigten und bis zu 2,50 Meter langen Speere wurde zunächst auf 400.000 Jahre geschätzt, inzwischen gehen Wissenschaftler von „nur“ knapp 300.000 Jahren aus.
2009 beschloss die niedersächsische Landesregierung den Aufbau eines Forschungs- und Erlebniszentrums rund um die Schöninger Speere.
Bezahlt mit Mitteln der Konjunkturförderung, soll sich das Paläon benannte Zentrum selbst refinanzieren. Der Bund der Steuerzahler geißelte die Investition von 15 Millionen Euro als Verschwendung. Auch andere Kritiker glauben nicht, dass die jährlich 70.000 Besucher erreicht werden, die das Paläon rentabel machen
So oder so sind die Speere die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Welt. Ihr Fund hat das Bild der kulturellen und sozialen Entwicklung des frühen Menschen revolutioniert. So konnte die früher weit verbreitete Forschungsmeinung widerlegt werden, wonach der Homo Heidelbergensis ein primitives, sprachloses Wesen war, das sich von Pflanzen und Aas ernährte.
Das unmittelbar am Rande des Tagebaus errichtete Paläon präsentiert sechs der Speere in Vitrinen. Auf einer interaktiven Wand ist das Grabungsfeld zu sehen, bei sanftem Druck auf bestimmte Symbole leuchten die Fundstellen auf. Der russische Künstler Misha Shenbrot hat Tierfotos, eigene Bilder und graphische Elemente zu einer über 30 Meter breiten Collage montiert. Das Panorama zeigt die Entwicklung der Tier- und Pflanzenwelt von einer Eiszeit über eine Wärmeperiode bis zur nächsten Eiszeit. Am Fuß eines Gletschers sind Nashörner, Moschusochsen und Affenmenschen zu sehen.
Von draußen beobachten vier mongolische Przewalski-Pferde das Eröffnungstreiben. Es handelt sich um die einzige Wildpferdeart, die bis in die Jetztzeit überlebt hat. Die vier Stuten stammen aus dem Zoo in Münster und aus einem Tierpark in Brandenburg.
Nach mehreren Wochen in einem kleineren Eingewöhnungsgehege grasen die Tiere jetzt auf der steppenartigen Weide direkt neben dem Forschungs- und Erlebniszentrum. Die Wiese wurde unter anderem mit Birken bepflanzt und soll an die kaltzeitliche Steppenlandschaft von vor 300.000 Jahren erinnern.
Rund 15 Millionen Euro hat der Bau gekostet. Das Land Niedersachsen finanzierte ihn aus dem Aufstockungsprogramm des Landes zum Konjunkturpaket II. Der Bund der Steuerzahler hatte das Projekt in der Vergangenheit als „Geldverschwendung“ kritisiert und empfohlen, die Schöninger Speere in einem der großen Museen des Landes in Hannover oder Braunschweig auszustellen.
Die laufenden Kosten des Paläon sollen über Eintrittsgelder erwirtschaftet werden. Mit rund 70.000 Besuchern pro Jahr rechnet der Vorsitzende des Fördervereins der Schöninger Speere, Wolf-Michael Schmid. Eine optimistische Schätzung, zumal das Erlebnis- und Forschungszentrum mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur sehr schlecht zu erreichen ist.
Ministerpräsident Weil griff den Streit um den Standort gestern nicht auf. Das Paläon sei ein „einmaliges Projekt“, sagte er, die 15 Millionen seien eine gute Investition in die Zukunft. Niedersachsen entwickele sich damit immer mehr zu einer „Schatzkammer für Archäologen“.
Erst vor wenigen Jahren war im Kreis Northeim ein römisch-germanisches Schlachtfeld aus dem 3. Jahrhundert nach Christus entdeckt worden. Auch dieser Fund gilt als Sensation. Denn bis dahin waren Historiker davon ausgegangen, dass sich die Römer nach ihrer verheerenden Niederlage in der Varusschlacht im Jahre 9 nach Christus hinter den Limes zurückzogen und keine großen militärischen Expeditionen ins heutige Norddeutschland mehr unternahmen.
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