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Archiv-Artikel

Hanin Elias, ehemalige Shouterin von Atari Teenage Riot wütet in der Fabrik Das Mikrofon der langen Messer

Manchmal sind es die Rückkopplungen, die Geschichten erzählen. „Future Noir“ heißt das neue Album von Hanin Elias, und da tauchen zwei transatlantische Feedbacks auf. Die eine spielt Gitarre zum Song „In My Room“, trägt den Namen Thurston Moore und lebt ansonsten in New York, um mit seiner Ehefrau Kim Gordon gemeinsam bei Sonic Youth zu spielen.

„No Games No Fun“ ist der Titel des Videoclips, der auf „Future Noir“ enthalten ist. Darin taucht die zweite Rückkopplung aus den Staaten auf. Man wundert sich schon, dass da J Mascis von Dinosaur Jr. in der Küche sitzt. So als habe er mit Elias, wie sie im schwarzen Kleidchen durch die Küche hüpft, aufreizend rum- macht und zum Produzenten des Songs, C.H.I.F.F.R.E. rüberblickt, nichts zu tun. Ganz so, als ob es ihn nicht jucke, dass Elias nicht in ein normales Mikrofon hineinsingt. Sondern in eines mit einem Messer am Griffende. „No Games No Fun“ gehört nicht zu den neuen Songs der Elias, sondern erschien vor gut einem Jahr auf dem gleichnamigen Kollabo-Album.

Da sang Elias auch mit Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten, dem japanischen Krachmacher Merzbow und mit Alec Empire. Empire hat ziemlich viel zu tun mit diesen Rückkopplungen, und dem Umstand, dass Elias auch in diesem Jahr auf Future Noir mit Indie-Promis zusammenarbeitet. Denn nachdem Elias mit 15 aus dem beschaulichen Wittlich an der Mosel abgehauen war und in besetzten Häusern lebte, lernte sie im Berlin der frühen Neunziger Jahre Alec Empire kennen. Gemeinsam mit dem MC Carl Crack gründeten sie Atari Teenage Riot, heute die nach den Einstürzenden Neubauten international bekannteste Berliner Gruppe.

„Der siebte Schuss ging mitten durch die Stirn“: Dieses Sample führte auch innerhalb der Linken zu Tabu-Diskussionen; es gehörte zum Atari Teenage Riot-Track „Hetzjagd auf Nazis“. Es ist bekannt, Musik aus Deutschland ist immer dann beliebt, wenn sie super-radikal klingt. Folglich gelang es Atari Teenage Riot, in London einen Major-Vertrag zu unterschreiben. Ein beachtlicher Geld-Vorschuss für ein Album war Bestandteil der Paragrafen. Die Platten-Firma sollte ihr Album nie zu hören bekommen; dem gewieften Trio gelang es dennoch, den Vorschuss zu behalten. Digital Hardcore Recordings wurde damit gegründet als Plattform für Kompromisse hassende Beats von links.

Atari Teenage Riot hatten damit alle Freiheiten, und sie fanden bald Gehör: bei den Beastie Boys, die sie auf ihrem Label in den USA veröffentlichten; bei den Nine Inch Nails, Rage Against The Machine und The Prodigy, mit denen sie unter anderem auf Tour gingen. Dazu nutzte Hanin Elias DHR auch für Solo-Projekte, gründete das Sublabel DHR Fatal. Mit dem Tod von Carl Crack 2001 endete die gemeinsame Zeit der Dreien endgültig. Elias koppelte Fatal Recordings vom DHR-Label ab.

Was sich auf ihrem letzten Solo-Album bereits ankündigte, wird von der ehemaligen Brüllerin inzwischen zelebriert: Sie singt. Sehr theatralisch zwar, doch sie singt, und ein Kreischen ist selten zu vernehmen. Dazu ruft sich die Mutter zweier Kinder zur „Unity“ der Frauen auf und ermächtigt sich selbst zum Spaß-Sex. Das Schlüsselwort des Albums wie der Selbstinszenierung Elias‘ lautet dennoch „Pain“: Es taucht in Beziehungs-Songs ebenso auf wie in politischen Analysen, und auch die Musik ist eine immer zum Morbiden neigende Feier von Dunkelheit und Bombast. Hanin Elias wirkt heute wie eine Gothic- Interpretation von Courtney Love, Sängerin der Rock-Band Hole. Christoph Braun

Heute, 21 Uhr, Fabrik