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Das Leid hinter dem Sieg

Vergangenheit Im Sechstagekrieg eroberte Israel große Gebiete. Soldaten erinnern sich an den Einsatz und das eigene wie das Leid der Feinde

JERUSALEM taz | „Manchmal sah ich rennende ägyptische Soldaten. Ich ballerte auf sie und freute mich, dass ich so ruhig schießen konnte“, zitiert der israelische Schriftsteller Amos Oz den Soldaten Eliahu aus Mishmar HaNegev, der 1967 den nach Ägypten vorstoßenden israelischen Truppen angehörte. Zusammen mit Avraham Shapira, Professor für Judaistik und jüdische Geschichte, veröffentlichte Oz bald darauf die Erlebnisberichte israelischer Soldaten während des Sechstageskrieges.

„Man schießt und weint“ heißt die im Verlag Westend neu erschienene deutsche Übersetzung. Die Ägypter, so berichtet Eliahu weiter, „schienen mir wie Puppen auf dem Jahrmarkt, die man sich mit dem Luftgewehr vornimmt – und wenn du triffst, bist du unheimlich stolz“. Andere taten sich schwerer mit ihrer Mission. „Das Gefühl, zu töten. Ich wusste nicht genau, wie ich reagieren würde“, berichtete der damals 22-jährige Amram und erinnert sich an einen feindlichen Soldaten, der ­„zerschmettert am Boden lag und noch zappelte … Mir war übel.“

Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte gaben sich vor 50 Jahren betont selbstbewusst. Nur „einmal hineinstechen und sie werden zerplatzen“, meinte Usi Narkiss, Kommandant der mittleren Front, über die angreifenden arabischen Streitkräfte. Der Vormarsch ging vermutlich noch schneller, als selbst Narkiss es vermutet hatte. Schon nach drei Tagen hatte Israel den gesamten Sinai erobert. In Jerusalem standen die israelischen Soldaten an der Klagemauer in der Altstadt. Dort erklärte Verteidigungsminister Mosche Dajan, dass „wir zu unseren heiligen Stätten zurückgekehrt sind, um uns nie wieder von ihnen zu trennen“. Zwei Tage später besetzten die israelischen Streitkräfte den Golan, bereit, in Richtung Damaskus vorzustoßen. In nur sechs Tagen Krieg hatte sich das Gebiet, das Israel kontrollierte, nahezu vervierfacht.

Die damals 19-jährige Ajelet zog als Truppenbegleiterin mit Richtung Sinai. „Man sieht, wie das alles umsonst ist“, sagt sie in dem Buch. „Der erste Gefallene, den ich sah, war einer von uns“, zitiert Oz den Soldaten Yossi. „Ich wollte ihm helfen, hob seinen Kopf“, berichtet er, dann „bekam ich direkt Schüttelfrost“. Rund 700 Tote zählten die Israelis, auf arabischer Seite ging die Zahl der Gefallenen in die Tausende.

„Das Land schäumte regelrecht über, und die Euphorie kannte keine Grenzen“, erinnert sich Amos Oz an die Tage nach dem Kriegsende. „Siegesalben, Siegesbücher, Siegeskult, Heldenkult, Nationalkult, Kult um die heiligen Orte. Doch kein Mensch sprach vom menschlichen Leid und erst recht nicht vom besiegten Feind.“ S. Knaul

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