: Das Leben ist hart
Geschichten aus dem weißen amerikanischen Alptraum: Johnny Dowd mit Band im Molotow
Er ist ein Opfer: der ewigen Suche nämlich, die Rock-Schreiber anstellen, um das neue und trotzdem dauergültige real thing zu finden. „Authentizität“ steht da und: „Der Mann weiß, wovon er singt.“ Sicher ist Johnny Dowd, der sagt, „Rock‘n‘Roll ist meine Religion“, nicht ganz unschuldig an solch krachledernen Zuschreibungen. Trotzdem sollte der Besitzer einer kleinen Spedition nicht ständig zum „Möbelpacker“ gemacht werden, damit es mehr nach Schweiß riecht.
Als sein Debüt Wrong Side of Memphis 1996 erschien, war Dowd bereits 48 Jahre alt. Und, um doch noch in die arbeitsverherrlichende Terminologie einzusteigen: Textlich beackert er ein Feld amerikanischer Rockmusik, das von Männern vergleichbaren Jahrgangs seit Dekaden für den Rock‘n‘Roll urbar gemacht wird. Da finden sich vor allem Mordballaden aus dem White-Trash-Milieu und Sex-Schuld-Sühne-Songs, immer auch ein wenig augenzwinkernd bevölkert von Figuren, welche die Eltern oder Großeltern von, sagen wir: Eminems pubertären Protagonisten sein könnten.
Dowds Vortragsweise erinnert an Mark E. Smith, und der reduzierte Country-Folk darunter wird immer wieder von Fuzz-Gitarren und lustigem analogen Synthie-Lärm attackiert. Auf dem mittlerweile vierten Album The Pawnbroker‘s Wife wurde diese Konstellation noch um einige Überraschungen und vor allem um die in Roots-Gegenden oft so schmerzlich abwesende Selbstironie erweitert. Als ginge es darum, von allen Seiten auf den weißen amerikanischen Alptraum hinzuweisen, spielt da jemand Schlagzeug, der tatsächlich Brian Wilson heißt und die Songs mit seinen Füßen auf dem Kirchenorgel-Bass-Keyboard begleitet. Dowds krächzender Gesang trifft auf die glockenklare und tonsichere Country-Stimme von Kim Sherwood-Caso, mit der er sich durch einige Walzer, aber auch eine echte Punkrock-Nummer wiegt. Offensichtlich ist Johnny Dowds Band auch dem Erbe des aberwitzigen Spike Jones Orchestra verpflichtet. Wie sonst sollte es auf The Pawnbroker‘s Wife zu Einfällen wie der akustisch-pseudofunkigen Version von „Jingle Bells“ mit der Vocoder-Stimme gekommen sein? Oder zum „Woody Guthrie Blues“, einer präzisen Parodie auf Texte und Gesang des Namensgebers? So etwas muss jetzt nie wieder jemand machen.
Wo Johny Dowd ein Möbelpacker ist, wird auch immer wieder ein Vergleich mit der Prosa Charles Bukowskis angestellt. Schmeichelnder und treffender ist dabei ein anderer: die Southern Gothic-Geschichten Flannery O‘Connors, in denen picknickende Bilderbuch-Südstaatenfamilien gerne einmal Serienkillern anheimfallen. Dowd selbst übrigens glorifiziert Plackerei keinesfalls: „A farmer‘s life“, heißt es da, „is cruel and hard.“ Georg Felix Harsch
mit Deluny: Sonntag, 21 Uhr, Molotow
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