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Das Land ist eine verspätete Demokratie – aber jetzt widersetzen sich die Bürger der Regierung von Haiders Gnaden vehementÖsterreich apart

Kanzler Schüssel hofft auf Business as usual. Aber hier isnix mehr as usual

Wir Österreicher sitzen hier in unserem Inland und werden vom Ausland mit Walzerklischees behängt. Von Leuten, die herkommen, das Völkchen drollig finden und sich an unseren dialektalen Merkwürdigkeiten wie an unseren Bäckereien ergötzen. Küss die Hand im Zuckerbäckerland. Und dann sprechen Sie uns aus: „Östreich“, das kann man noch beim Lesen hören. Kein Hitler reicht aus, um den Nimbus des Ulkigen, der unser Bild offenbar im Blick unserer Nachbarn umwölkt, von uns zu nehmen. Das Land, einst groß, erfüllt vom Phantomschmerz dieser amputierten Größe, hat nicht auch noch den Hohn der Ahnungslosen verdient. Nicht, dass wir hier mit Paradoxien schlecht umgehen gelernt hätten – und an Paradoxien fehlt es nicht –, aber ein bisschen mehr Ernst möchten wir uns schon ausbitten.

Zum Beispiel ist es paradox, dass die Freude vieler Demokraten aus einer politischen Katastrophe entsteht. Nach der Großkundgebung vom 19. Februar am Wiener Heldenplatz ist vieles anders in Österreich. Was kann es Schöneres geben als diese friedliche Demonstration von 250.000 Menschen, fragten selig lächelnde Demokraten einander. Antwort: Eine andere Regierung.

Aber war nicht alles fad unter der anderen, der alten Regierung? Kommt die neue Belebung der Öffentlichkeit nicht auch daher, dass Wolfgang Schüssel, um endlich Kanzler zu werden, den Tabubruch riskierte und die überlange Nachkriegszeit der rot-schwarzen Umschlingung, dieses proporzionalen Doppelwürgegriffs, beendete? Sollte man ihm nicht eigentlich dafür dankbar sein? Nein, denn der Preis der Befreiung heißt Haider. Ein zu hoher Preis. Andererseits: Gäbe es Haider nicht, wäre auch der Wechsel zu einer rechtskonservativen Regierung eine nur mäßig erfrischende Realität.

Es ist tatsächlich paradox: Schüssel, Chef der Europapartei ÖVP, die in allen anderen Parteien erst große Widerstände überwinden musste, um sie vom Europagedanken zu überzeugen, hat dieses Europa jetzt gegen sich aufgebracht. Europa ist österreichisches Inland; Europapolitik ist noch nicht gleich Innenpolitik, aber seit den Amsterdamer Verträgen kommt sie ihr näher. Bei aller Scheinheiligkeit und Überzogenheit der Sanktionen der 14 EU-Staaten (wo sind die bilateralen Sanktionen gegen Russland wg. Tschetschenien?) ist im österreichischen Inland von einer Trotzreaktion nicht wirklich eine Rede. Der „Jetzt erst recht“-Reflex, bekannt aus Waldheims Zeiten, nimmt sich im Jahr 2000 sehr abgeschwächt aus. „Wir Österreicher wählen, wen wir wollen“ klang 1986 deutlich aggressiver als die heutige „Wir Österreicher sind doch gar keine Nazis!“-Leier.

Kanzler Schüssel hofft auf Business as usual. Er setzt innen auf eine emotionale Entladung durch Demos, die bald abflaut, und außen auf Charme und Zeit. Aber nix is as usual. Die ungeschüttelten Hände und die ungerührten Herzen in den europäischen Gremien sind noch das geringste Problem. Im Deutschen Bundestag gab Joschka Fischer zu Protokoll, selbstverständlich die Hand der Außenministerin Ferrero-Waldner geschüttelt zu haben. Und dennoch hält er mit den 14 Staaten an den Sanktionen gegen Österreich fest. Die gern und zu Recht „apart“, also „auf besondere Weise reizvoll“ genannte Ferrero mag noch manches gremiale Küsschen ernten. Vergebens. „Apart“ heißt leider auch so viel wie „abgesondert“. Solange die Haider-Partei in der Regierung ist, bleibt Österreich apart in der EU. Man mag über das Geheuchelte an der „Wertegemeinschaft Europa“ den Kopf schütteln, das Politische an der EU-Intervention ist berechtigt und holt nur nach, was Österreich selbst versäumt hat.

Wenn die Sanktionen bleiben, kann das zu einem frühen Bruch der Koalition, zu einem neuen Obmann und zu Neuwahlen führen. Auch das ist paradox: Wenn etwas dem Ansehen Österreichs und damit der Rettung Schüssels hilft, sind das die Demonstrationen und die Zeichen von Dissidenz.

Noch ein Paradox: Am wenigsten befreit die Wende die Regierungsparteien. Die Schwarzen winden sich noch immer in den Fesseln ihrer zünftischen Beschränkungen, auch wenn sie jetzt so tun, als seien sie nur von den Sozis an der Modernisierung gehindert worden. Die FPÖ verheddert sich in ihrer Vergangenheit und in den Wortmeldungen ihres Obmanns Haider. Nein, den beiden hat diese Wende keine Freude gebracht. Dafür befreite sie anscheinend die Sozialdemokraten, die unter ihrem designierten Vorsitzenden Alfred Gusenbauer offenbar einer Repolitisierung entgegengehen. Sie brachte den Grünen einen enormen Sympathieschub, sie entfesselte ein Potenzial an Dissidenz, und sie brachte eine europäische Dimension ins Spiel.

Unter österreichischen Bedingungen fehlender demokratischer Traditionen und unter einem Harmoniezwang voller Angst vor offener Auseinandersetzung hatte es Österreich verlernt, Gegensätze zivilisiert auszutragen. Österreich ist, oft wurde es bemerkt, eine verspätete Demokratie. Besser spät als nie. Die Kids, die sich nun die Straße und die neuen Medien holen, die älteren Leute in neu formierten Salons, das Gesumm in den Hörsälen, die Diskussionen in Theatern und Kunsthallen – hier entsteht, hier findet und festigt sich die neue Öffentlichkeit.

Was gibt’s Schöneres als friedliche Demonstrationen? – Eine andere Regierung!

Womöglich wirkt es lächerlich, wenn Menschen durch die Stadt laufen und „Widerstand, Widerstand!“ rufen. Aber man weiß, was gemeint ist. Wichtig ist: Wir Österreicher brauchen nicht die peinliche Verordnung einer Wertegemeinschaft von außen, wir gehen daran, sie uns selbst zu erkämpfen. Wir: besorgte Bürger, Intellektuelle, Künstler, Studenten. Wichtig: Weder die Intellektuellen noch die Künstler fallen um! Die vielen Thatcherismus-Verlierer, die kleinen Leute, die Haider-Wähler werden es schon noch merken, wenn sie draufzahlen. Jetzt beachtet man sie nicht. Auf die Künstler und Intellektuellen fällt zuerst die Aufmerksamkeit, sie sind die Seismographen, sie signalisieren Haltung, mit ihnen gewinnt oder erhält man die Hegemonie.

Die FPÖ, konsequent und sachlich attackiert, wird schon nervös. Ihre Funktionäre versuchen die Proteste kleinzureden und mit aggressiven Interventionen den öffentlich-rechtlichen ORF einzuschüchtern. Klappt nicht. Der österreichische Untertan beginnt sich von sich selbst zu verabschieden. Das paradoxe Ende der Nachkriegsgesellschaft hat nicht viel Gutes. Aber am beginnenden Neuen kann man sich freuen. Die Proteste werden nicht aufhören, die Demonstrationen finden nun jeden Donnerstag am Ballhausplatz statt; die friedliche Sprache der Straße wird andere friedliche Formen der Dissidenz ermutigen. Die Regierung von Haiders Gnaden wird keine Ruhe haben. Mit dem zwangsberuhigten Österreich ist’s vorbei. Armin Thurnher

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