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Das Klopfen des Nachbarn

Kunst Die nächste Istanbul-Biennale steht unter dem vieldeutigen Motto „Nachbarschaft“

Einen guten Nachbarn? Hätte vermutlich jeder gern. Jemanden, der die Post im Urlaub sammelt oder schnell mal als Babysitter einspringt. Auch gegen eine alte Dame hätten wir nichts, die uns zum fünfzigsten Mal die Geschichte ihrer Enkel erzählt. Schwer zu sagen, was einen guten Nachbarn ­wirklich ausmacht: Er soll hilfsbereit sein, aber doch zurückhaltend, vertraut, aber diskret. Nachbarn verkörpern die Frage: Wie gehen wir miteinander um?

So gesehen ist „A Good Neighbor“ – der Titel, den die Istanbul-Biennale für ihre 15. Ausgabe im nächsten Herbst gerade bekannt gab, eine raffinierte Wahl. ­Elmgreen & Dragset, das dänisch-norwegische Kuratorenduo, das den Laden schmeißen soll, ist für spektakuläre Inszenierungen bekannt. Im Sommer 2009 sorgten die beiden auf der Venedig-Biennale mit ihrem Setting „Tod eines Sammlers“ für Aufsehen. Lange hatte die Kunstwelt gerätselt, was sie im politisch-ideologisch verminten und schwer von der After-coup-Depression geschlagenen Istanbul vorhaben, in dem jeder auf die nächste Bombe wartet. Nun hat sich das Künstlerduo für eine semantische Operation entschieden, wie sie hintersinniger und eingängiger nicht sein könnte.

„A Good Neighbor“ – dieses Motto versteht in der in Mahalle (Nachbarschaften) organisierten Türkei jeder auf Anhieb. Es kommt freundlich, fast gemütlich daher, ohne allzu kritisch mit der Tür ins Haus zu fallen. Man kann aber allerlei darin verstecken. Die Begründung der Kuratoren von dem „Mikro­universum der Herausforderungen“ und dem „Heim als Vehikel des Selbstausdrucks“ ist nämlich nur die soziologisch verbrämte Verpackung der politisch brisanteren Frage nach friedlicher Koexistenz nach innen und nach außen. „Frieden in der Heimat, Frieden in der Welt“ – weiter entfernt von dem Motto, das Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk einst für sein Land formulierte, könnte Recep Tayyip Erdoğans Türkei von heute kaum sein, wo Denunziation und Drohgebärden unter Nachbarn an der Tagesordnung sind.

Das Konzept ist also vielversprechend. Bleibt die interessante Frage, ob die beiden flamboyanten, offen schwulen Kuratoren auch realisieren dürfen, was sie sich vorstellen. Seit im vergangenen September schon die klitzekleine Çanakkale-­Biennale im Westen der Türkei nach der Hasskampagne eines lokalen AKP-Abgeordneten kurz vor der Eröffnung gecancelt wurde, wissen wir: Es gibt auch ziemlich böse Nachbarn. Sie schrecken vor Rufmord und Gewalt nicht zurück.

Ingo Arend

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