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„Das Klima ist wieder repressiver geworden“

■ Besuch im Pekinger Untergrund bei einer illegalen Aktionsgruppe

Die Spelunke in einem grauen Vorstadtviertel Pekings bietet lauwarmes Bier an. Eine grell geschminkte Wirtin führt mich in ein Zimmer oberhalb der Gaststube. Ich treffe mich dort mit Delegierten einer „illegalen Organisation“, die sich nach dem Massaker 1989 im Untergrund gebildet hat.

Der eine, Wang, war vor 1989 Journalist einer Regierungszeitung. Aus Protest gegen die Zensur verließ er das Blatt, seitdem ist er arbeitslos. Sein Partner Chen war Mittelschullehrer. 1989 rief er die Schüler zu Aktionen gegen die Korruption auf und wurde gefeuert.

„Du kommst zwei Monate zu spät“, meint Wang. „Seit April hat die Polizei einige Gruppen zersprengt und eine Reihe von Aktivisten verhaftet. Unter Folter sagten manche aus: die vielen Verhaftungen im Juni und Juli gegen Mitglieder der verbotenen 'Freien Gewerkschaft‘ und der 'Sozialistischen Demokratischen Partei‘ waren die Folgen. Selbst an den Universitäten in Peking, wo längere Zeit keine Verhaftungen mehr durchgeführt wurden, sind im August wieder Studenten eingelocht worden. Das politische Klima ist wieder repressiver geworden. Deshalb sind die strategischen Köpfe tief abgetaucht.“

„Andererseits kommst du aber auch zwei Monate zu früh“, erklärt Chen, „denn die meisten Gruppen haben sich entschlossen, erst mögliche Veränderungen im politischen Klima nach dem 14.Parteitag abzuwarten. Neue Aktionen könnten den Ultra-Orthodoxen in der KP wieder Vorwände für einen Gegenschlag gegen den Kurs der Wirtschaftsreformer liefern.“

Die Aktionen sind meist Versuche, Gegenöffentlichkeit herzustellen: Herstellung und Verbreitung von illegalen Aufrufen und Druckschriften oder das Anbringen von Wandzeitungen, bis hin zum Einschleusen von Computerviren in die Verwaltungsbehörden und den Polizeiapparat. „Unsere Informatikstudenten sind sehr einfallsreich“, schmunzelt Wang. „Der größte Coup gelang unserer Gruppe 1990, als einer unserer Spezialisten bei den Wartungsarbeiten an der Computeranlage des Sicherheitsdienstes einer Universität das gesamte gespeicherte Material über die observierten Verdächtigen samt Namensliste der Spitzel herausschaffen konnte.“

An der Universität Peking herrscht zur Zeit wieder das gleiche kritische Klima wie 1988, permanent finden kleine Protestaktionen statt, Spitzel werden geoutet und geächtet. Dieses revolutionäre Gären findet sich auf Provinzebene noch nicht. Tenor der befragten Aktivisten in Sechuan und Guandong: „Peking muß das Signal zum Protest setzen, dann bleiben auch die Provinzen nicht ruhig. Auf uns allein gestellt, würden wir sofort massakriert!“ Klaus Pan

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