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„Das Klima ist rauh und finster“

Im Harz-Städtchen Quedlinburg haben Neonazis unterschiedlicher Couleur ihre Liebe zur Justiz entdeckt: Antifas werden mit Strafanzeigen mundtot gemacht und sollen so vertrieben werden  ■ Von Bernd Siegler

Die einen sammeln Briefmarken, die anderen Münzen. Torsten F. aus Quedlinburg im Harz sammelt Strafanzeigen, mittlerweile 48 an der Zahl. Sie richten sich gegen ihn und kommen von Gruppierungen, die sich mal harmlos „Unabhängiger Freundeskreis“ oder „Bürgerinitiative gegen Antifa- Gewalt“ nennen, dann auch „Harzer Heimatschutzbund“ oder etwas martialischer „Harzfront“. Die Gruppen haben eines gemeinsam: eine neonazistische Gesinnung. Deshalb erklären sie antifaschistisch engagierte Menschen wie den 27jährigen Elektromonteur Torsten F. zu ihren Feinden.

Schon im September 1992 geriet das 26.000-Einwohner-Städtchen Quedlinburg bundesweit in die Schlagzeilen. Hunderte aufgebrachter Deutscher hatten das örtliche Flüchtlingsheim tagelang belagert. Das war kurz nach den Ausschreitungen gegen die Bewohner eines Ausländerwohnheimes in Rostock-Lichtenhagen. Schon damals trafen sich im Harz viele neonazistische Akteure. Wernigerode, nur 30 Kilometer von Quedlinburg entfernt, galt als Hochburg der inzwischen verbotenen „Freiheitlichen Arbeiterpartei Deutschlands“. In Northeim bei Göttingen, etwa 80 Kilometer von Quedlinburg, fühlten sich neonazistische Skinheads unter Führung des dort lebenden einstigen niedersächsischen FAP-Landesvorsitzenden Torsten Heise besonder wohl.

Ende 1993 zog es einen führenden Aktivisten der im November 1992 verbotenen „Nationalistischen Front“ direkt nach Quedlinburg: Steffen Hupka. Der Denkmalpfleger gründete einen Betrieb zur Restaurierung von Fenstern und Türen und begann in Quedlinburg seine Vorstellungen einer militanten Kaderorganisation in die Tat umzusetzen. Schulungen, Seminare und Wehrsportübungen in den Wäldern des Harzes sollten die Kameraden in Form bringen, Konzerte rassistischer Skin-Bands für die nötige Stimmung sorgen. In seiner bundesweit vertriebenen Postille Umbruch rief der 32jährige dazu auf, „es den Feinden unseres Volkes so schwer wie möglich zu machen“. In seinen „Gedanken zur Strategie“ gab er klare Anweisungen für die Zukunft: „Nicht irgendwelche unbekannten Ausländer sollten das Ziel von phantasievollen Aktionen sein, sondern diejenigen, die in Wort und Tat verantwortlich sind für die derzeitige Lage.“

1994 schlugen die Verfassungsschützer Alarm. Die Zahl der rechtsextremen Straftaten hatte sich binnen Jahresfrist in Sachsen- Anhalt mehr als verdoppelt, die Zahl der aktiven Neonazis gar auf 350 verdreifacht. Die Gegend um Quedlinburg und Wernigerode bezeichnete Innenminister Manfred Püchel (SPD) dabei als Schwerpunktregion rechtsextremer Aktivitäten und Rekrutierungsbemühungen. Verfassungsschutzpräsident Wolfgang Heidelberg machte Hupka als Führungsfigur des Rechtsextremismus aus. Angriffe auf vermeintlich linke Jugendzentren in Wernigerode und Quedlinburg und Übergriffe auf Andersdenkende und -aussehende standen auf der Tagesordnung, die Ortschaften im Ostharz wurden überzogen mit Flugblättern und Spuckis.

Burkhardt Hocke, Sprecher der Polizeidirektion Halberstadt, glaubt mittlerweile das Schlimmste überstanden zu haben: „Wir haben Hupka im Auge, zusammen mit dem Landeskriminalamt und dem Staatsschutz sind wir am Ball und haben die Szene weitgehend im Griff.“ Torsten F. glaubt ihm nicht. „Das Klima hier ist rauh und finster, hier herrscht die Hegemonie der Rechten“, beschreibt er die aktuelle Situation. Er wehrt sich zusammen mit etwa 30 Mitgliedern der örtlichen Antifa. Sie organisieren Antifa-Wochen und finden sich immer wieder in Auseinandersetzungen mit Neonazis verstrickt.

Für die Gewalt machen die Neonazis ausschließlich Torsten F. verantwortlich. Unter dem Namen „Bürgerinitiative gegen Antifa- Gewalt“ verteilen sie Flugblätter mit der Überschrift „Wer ist Torsten F.?“. Darin bezeichnen sie den 27jährigen als „Fall für den Psychiater“. „Wir wollen, daß in Quedlinburg endgültig Ruhe einkehrt“, schreiben sie und beschäftigen die örtliche Polizeistation und die Staatsanwaltschaft Halberstadt.

Dort zeigen sie Torsten F. immer wieder an, wegen Nötigung, Beleidigung, Körperverletzung oder Sachbeschädigung. Einmal wurde der 27jährige bislang wegen Körperverletzung verurteilt, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Einige Verfahren hat die Staatsanwaltschaft bereits eingestellt, dreimal wurde F. freigesprochen, aber etwa zwanzig Verfahren laufen noch.

„Das ist alles völlig aus der Luft gegriffen“, so beurteilt Thomas Herzog aus Berlin, Anwalt von Torsten F., die Vorwürfe. Er hat gegen mehrere Neonazis inzwischen Anzeige wegen Falschaussage gestellt, zu offensichtlich waren deren Absprachen vor Gericht. Für Anwalt Herzog soll mit dieser Anzeigenserie sein Mandant „systematisch kriminalisiert werden“. Daß bei diesem Versuch die örtliche Staatsanwaltschaft mitmacht, ist ihm unverständlich.

Und Torsten F.? „Auf die Dauer wandere ich in den Knast, das schaffen die schon“, befürchtet er. Er hat sich entschlossen, Quedlinburg den Rücken zu kehren. „Für mich gibt es nur noch die Möglichkeit wegzugehen.“ Er will sich jetzt in Berlin engagieren.

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