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Das Kandidatenkarussell

■ Der künftige Präsident muß vor allem kompromißfähig sein / Wenig Programm, viel Bestechung / Gemayel hofft noch auf eine Verlängerung seines Mandats

So schwierig und undurchschaubar der Wahlprozeß auch ist an Kandidaten für den Präsidentschaftsposten mangelt es jedenfalls nicht. Fast alle Parteien haben sich für oder auch explizit gegen einen Kandidaten ausgesprochen. Lediglich die pro-iranische Schiitenpartei Hizb'allah hält sich abseits. Sie will eine islamische Republik, und da kommt ein maronitischer Präsident schlechterdings nicht in Frage. Wichtigstes Kriterium wird wohl die Kompromißfähigkeit des künftigen Präsidenten sein. Dann gegebenenfalls wird er mit allen nationalen Kräften und gegen vereinten internationalen Druck agieren müssen.

Während die junge Generation sich in Meinungsumfragen für ein hartes Regime, häufig auch für eine Militärregierung ausspricht, scheinen sich die Älteren eher nach individueller Sicherheit, nach Toleranz und strikter Einhaltung der Menschenrechte zu sehnen. Gleichermaßen drückt die Libanesen aller Altersgruppen indes die ökonomische Lage. Die kann zwar als Folge aller anderen Widrigkeiten interpretiert werden, doch wird bei Meinungsumfragen der Wunsch nach ökonomischer Stabilität an erster Stelle genannt - weit vor politischen Reformen. Die Programme der einzelnen Kandidaten unterscheiden sich denn auch kaum voneinander - höchstens in der Gewichtung der Probleme.

Einen öffentlichen Wahlkampf mit vielen bunten Fähnchen, Kugelschreibern und anderen netten Geschenken gibt es nicht. Zwar findet man hier oder da ein Poster am Straßenrand, in den Heimatorten der Kandidaten huldigen Graffitis dem jeweiligen Patron. Doch der wichtigste Teil öffentlichen Wahlkampfs spielt sich in den Medien ab. So ließ der Geschäftsmann Henry Sfeir verschiedenen Tageszeitungen zehn Seiten beilegen, in denen er seine Wahlversprechen und jede Menge Fotos seiner beeindruckenden Person veröffentlicht. Der Chefredakteur der großen Tageszeitung 'As Safir‘ berichtete vergangene Woche in einer Titelgeschichte von unzähligen Bestechungsversuchen „in Millionenhöhe“ (was, in US-Dollars gerechnet, immerhin auch in die Zehntausende geht).

Sollte es wider Erwarten zu keiner gütlichen Übereinkunft der konfessionellen Gruppen kommen, hofft Präsident Amine Gemayel auf eine zweijährige Verlängerung seines Mandats.

Und als Kompromißkandidaten, die sich allemal als Wirtschaftsfachleute auszeichnen, gelten der Ex-Minister Michel Edde und der ehemalige Generaldirektor der libanesischen Landesbank, Michel Khoury.

Aussichten hat auch der jetzige Generalstabsschef Michel Aoun, der als Pragmatiker angesehen wird, und dem die relativ stabile Rolle der Armee in den vergangenen Jahren zugutegehalten wird.

Der einzige Kandidat allerdings, der sich einer Pressure -Group in der Bevölkerung sicher sein kann, ist Raymond Edde, Chef des „Unabhängigen Maronitischen Blocks“, der seit zwölf Jahren aus dem Pariser Exil heraus versucht, die Geschicke seines Landes zu beeinflussen. Die Rückkehr Eddes, dessen Unterstützergruppe derzeit die einzelnen Parlamentsabgeordneten besucht, wird in dieser Woche erwartet.

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