Das Internet wird transparent: Enttarnt im Netz
Durch "IP Traceback" sollen sämtliche Internet-Nutzer namentlich zurückverfolgbar werden. Der Vorschlag stammt ursprünglich von der chinesischen Regierung.
Die Nutzung des Internet ist noch immer mit einer gewissen Anonymität verbunden: Besucht man eine Website, erfährt diese nicht gleich Namen und Adresse des Nutzers, sollte er diesen nicht freiwillig angeben. Das Gremium für Telekommunikationsstandards der Vereinten Nationen, die ITU mit Sitz in Genf, könnte mit einem neuen technischen Vorstoß in den nächsten Jahren dafür sorgen, dass das aufhört: Unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit wird dort laut Berichten von Netzbürgerrechtlern derzeit über frische Standards diskutiert, die die Rückverfolgbarkeit aller Internet-Nutzer ermöglichen sollen.
Der Vorschlag nennt sich "IP Traceback" - Verfolgung von Internet-Protokoll-Adressen. Laut einem dem IT-Nachrichtendienst "CNET" vorliegenden Dokument soll die Technologie als vorgegebener Mechanismus über verschiedene Netzwerkumgebungen und Protokolle, Router und andere wichtige Komponenten des Internet-Datenverkehrs verteilt werden. "Um die Verfolgbarkeit sicherzustellen, müssen essentielle Informationen über den Urheber gespeichert werden", wird aus dem Papier zitiert.
Damit soll es auch möglich werden, so genannte Anonymisierungs-Proxys zu umgehen. Diese Programme leiten Internet-Datenverkehr über zahlreiche Zwischenknoten weiter, um den Ausgangspunkt zu verschleiern. Die Technik wird beispielsweise von Dissidenten genutzt, um im Internet ihre Meinung frei zu äußern, ohne Repressionen fürchten zu müssen. Würde IP Traceback direkt in Geräte eingebaut, wäre eine solche Lösung potenziell nicht mehr möglich, da dennoch jede Netzbewegung zurückverfolgbar sein würde. Bei aktueller Technik muss man dies erst einschalten, Rückverfolgbarkeit ist nicht Teil der Standardinfrastruktur.
Der Vorschlag zu IP Traceback stammt ursprünglich von der chinesischen Regierung, deren staatseigene ZTE Corporation das Grundlagenpapier erarbeitet hat. Die Chinesen ärgert sich schon seit längerem, dass die Rückverfolgbarkeit von Internet-Nutzern und deren "illegale Aktivitäten" im Netz, wozu die dortigen Behörden selbstverständlich auch zensurwürdige Äußerungen zählt, noch verhältnismäßig schwierig ist. Beamte oder Firmen müssen sich stets an den Online-Anbieter des Users wenden, um aus der Internet-Adresse, der so genannten IP-Nummer, Name und Anschrift des Delinquenten zu gewinnen. In manchen Fällen, etwa bei Flatrates in westlichen Ländern, werden diese Daten gar nicht erfasst oder bereits nach wenigen Wochen gelöscht.
Auch die in Deutschland stark umstrittene Vorratsdatenspeicherung soll es letztlich erleichtern, schneller von der IP-Adresse zum Nutzer selbst zu kommen, am besten noch lange Zeit nach möglichen Online-Verbrechen. Das neue deutsche Urheberrecht soll es zudem Medienkonzernen erlauben, direkt bei Providern an solche Informationen zu gelangen, um Staatsanwaltschaften nicht zu belasten.
Datenschützer halten IPs für persönliche Daten, da sie sich auch zum Anlegen von Nutzerprofilen eignen; Konzerne wie die Suchmaschine Google, die mit solchen Daten ihre Technologie verbessern oder nutzerangepasste Werbung einblenden, sehen sie als weniger schützenswert an, weil ja erst ein weiterer Schritt erfolgen muss, um den Namen des Nutzers zu ermitteln. IP Traceback würde letztere Argumentation über den Haufen werfen und das Internet verändern, glauben Experten. "Erschreckend ist, dass sich offenbar niemand Gedanken darüber gemacht hat, wie solche Möglichkeiten missbraucht werden könnten", meinte Marc Rotenberg, Direktor des Netzbürgerrechtsverbandes EPIC gegenüber US-Medien.
Neben den Chinesen soll nach Presseberichten auch der US-Supergeheimdienst NSA zu den wichtigen Helfern bei der Entwicklung von IP Traceback gehören. Ein Behördensprecher verweigerte laut CNET allerdings jede Aussage. "Wir haben dazu keine Informationen anzubieten." Es ist unklar, wie weit die Bemühungen um IP Traceback bereits fortgeschritten sind. Die entsprechenden Diskussionen bei der ITU laufen hinter verschlossenen Türen. Allerdings gibt es einen Zeithorizont: Der Vorschlag soll bis 2009 fertiggestellt sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen