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Das Herz der Demokratie stottert

Die Große Koalition umgeht immer öfter die parlamentarischen Gremien. In schwarz-roten Krisenrunden wird alles Wichtige vorab geklärt, die Abgeordneten dürfen anschließend zustimmen  ■ Von Christian Füller

Die Abgeordneten Damrat, Flemming und Gaebler (alle SPD) kamen nur ihrer Aufgabe nach: Im Wissenschaftsausschuß prüften sie den sogenannten Hochschulvertrag, der tags darauf im Parlamentsplenum verabschiedet werden sollte – und lehnten den Entwurf ebenso wie die Opposition von Bündnisgrünen und PDS ab. Die Absenkung der Studienplätze an Fachhochschulen sei mit der SPD nicht zu machen, sagten die Sozialdemokraten und lösten damit eine kleine Koalitionskrise aus. Was ihnen einfalle, das fertiggeschnürte Abstimmungspaket wieder aufzuschnüren, mußten sie sich von der CDU angiften lassen.

Der Eklat ist nahezu typisch geworden in der berlinischen Demokratie. Entscheidungen werden immer öfter hinter den Rücken der Fachabgeordneten in der Koalitionsrunde getroffen, das parlamentarische Fußvolk darf anschließend nur noch zustimmen. Die Gespräche in den „Koala- Runden“ sind meistens „geheim“, und sie finden mit Vorliebe nächtens und kurz vor den Sitzungen des regulären Parlaments statt.

Wenn die Themen dann anschließend in den Ausschüssen oder im Plenum erörtert werden, herrscht eine eigentümliche Atmosphäre. „Die Debatten sind dumpf geworden“, beklagt die bündnisgrüne Baupolitikerin Ida Schillen. Sie bekomme nach beinahe jeder Sitzung Anrufe empörter Bürger: „Wie ist denn die Gesprächskultur in dem Ausschuß auf den Hund gekommen!“

Die vielgerühmte Sacharbeit, die streitige Erörterung von Argumenten trägt sich kaum mehr im Preußischen Landtag zu. Der Satz, daß die eigentliche Parlamentsarbeit in den Ausschüssen stattfindet und dort das Herz der Demokratie schlägt, stimmt immer weniger. Ständig wird dem Herzen über die Bypässe der rot-schwarzen Krisengespräche das Blut des politischen Diskurses entzogen.

Die Große Koalition von CDU und SPD bestätigt die These des Politologen Johannes Agnoli. Entscheidungen fallen nicht im Parlament, kritisierte Agnoli vor Jahren in seinem Buch „Transformation der Demokratie“. Eine kleine machtvolle Gruppe organisiere und bespreche die Beschlüsse. Beratung und Diskussion seien bloß ein argumentativer Schleier, meinte Agnoli.

Im Abgeordnetenhaus an der Niederkirchner Straße ist selbst dieser Schleier gefallen. Als die Opposition vergangene Woche 30 Änderungsanträge zur Novelle der Bauordnung einbrachte, wurden diese schlicht ignoriert. CDU und SPD lehnten eine Debatte darüber ab. Und selbst die über Nacht ausgehandelten Änderungen der Koalition wurden ohne Debatte abgestimmt. „Während der Sitzung“, berichtet Baupolitikerin Schillen, „wurde uns die Abschaffung der Stellplatzabgabe auf den Tisch gelegt – und entschieden.“ Diesen Höhepunkt an parlamentarischer Ignoranz quittierte die Opposition, indem sie geschlossen auszog. Für ein parlamentarisches Blinde- Kuh-Spiel seien sie nicht zu haben, schäumten die Abgeordneten.

Der angesehene Politikwissenschaftler Jens-Joachim Hesse bezeichnet diesen krassen Fall als „weiteren Verfall der Parlamentarismuskultur“. Es sei nicht neu, daß Fraktionseliten Entscheidungen in Geheimzirkeln vorstrukturieren. Diese in der Verfassung nicht vorgesehene Grauzone müsse kritisch beobachtet werden, empfiehlt der FU-Politologe der Opposition. Die PDS erwägt das bereits. Sie will im Ältestenrat einen Vorlauf für Koalitionsanträge duchsetzen.

Das Vorgehen hat längst System. Einwendungen und Änderungswünsche der Opposition behandeln CDU und SPD im Bauausschuß nach Schema F. Regel 1: Anträge der Opposition werden prinzipiell und geschlossen abgelehnt. Regel 2: Wenn die Vorlagen interessant sind, vertagen die Regierungsfraktionen den Punkt – und bringen ihn später wortgleich als eigenen Antrag ein. „Vertagen und kopieren“, heißt die Methode, und die Opposition weiß nicht, ob sie sich darüber freuen soll.

In der Regierung trägt sich unterdessen das gleiche Schauspiel zu. Der Senat diskutiert Wichtiges erst, nachdem im Koalitionsausschuß die Sache zwischen SPD und CDU vorgeklärt ist. Obwohl Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) beispielsweise seit Wochen einen fertigen Entwurf für die Bezirksgebiertsreform in der Schublade hat, durfte er sie im Senat nicht einbringen, ehe die Fraktions- und Parteispitzen getagt hatten. Gestern nun war es soweit. Morgens parlierte der Senat über die Gebühren der veterinärmedizinischen Grenzkontrollen. Am Nachmittag fielen dann die harten Entscheidungen zu Bezirksreform und Haushalt im Koalitionsausschuß.

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