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Das Geheimnis, mit dem Zappen aufzuhören

■ Kunststück mit Hintersinn: Der Regisseur Tom Tykwer stellte seinen neuen Film „Winterschläfer“vor

Das erste Kunststück: Der junge Regisseur Tom Tykwer hat es geschafft, in seinem neuen Film „Winterschläfer“intelligentes oder gar intellektuelles und zugleich emotionales Kino miteinander zu verbinden. Das zweite Kunststück: Zum Bundesstart am gestrigen Donnerstag schien er überall gleichzeitig zu sein, um sich den Fragen der JournalistInnen zu stellen. Nur der (Bremer) taz verriet der Regisseur allerdings das Geheimnis, wie man die ZuschauerInnen vom Zappen abhält.

taz: Als erstes möchte ich Sie dazu beglückwünschen, daß Sie entdeckt haben, wie gut sich die Komposition „Fratres“des Avantgardemusikers Arvo Pärt als Soundtrack eignet. So hat Ihr Film ein sehr verführerisches musikalisches Hauptmotiv.

Tom Tykwer: Dieses Stück habe ich schon beim Schreiben oft gehört. Man kann fast sagen, daß ich mich von der Musik habe leiten lassen. Es hat sich fast aufgedrängt und paßt einfach perfekt für dieses Gefühl von sphärischer Verlorenheit, die man in den Bergen haben kann. Und wenn man dann noch bei den Aufnahmen mit dem Helikopter solch eine gleitende Bewegung hinkriegt, dann hat das viel von dem Beschwörungscharakter, den ich mir für den Film erhoffte. Mit einer leichten Trance, in die nicht nur die Protagonisten geraten sollten, sondern auch die Zuschauer. Das ist eine sehr hypnotische Musik.

Diese Stimmungen tragen ja auch den Film viel mehr als etwa die Spannungsbögen der Geschichte. Woher kommt diese im deutschen Kino ganz unüblich emotionsgeladene Filmsprache?

Es wird mir immer bewußter, wie wichtig es ist, im Film ein ganz eigenes Klima zu erzeugen, das dann der zentrale Humus ist, aus dem heraus man alles andere im Film erzählen kann. Wenn es einem gelingt, solch eine intensive Atmosphäre zu schaffen, ist auch eine ganz andere Aufmerksamkeit beim Publikum da, um sich auf komplexe Inhalte, eine andere Art zu erzählen oder die Charaktere einzulassen. Und Filme bleiben wegen der Stimmungen lange im Gedächtnis, nicht wegen der erzählten Geschichten.

Ich mache zu Hause mit meinen Besuchern oft den Zappertest, indem ich sie schnell durch die Fernsehkanäle schalten lasse und darauf achte, was sie länger ansehen. Alle blieben bei der Hitchcockcassette hängen, die ich mit eingespielt habe. Nach drei Sekunden weiß man: Das ist gut, das hat solch eine Magie. Und dem Geheimnis möchte ich auf die Spur kommen. Ich möchte auch einen Film machen, bei dem die Zapper hängenbleiben.

Ungewöhnlich an „Winterschläfer“ist auch die Darstellung der vier Protagonisten, von denen man lange nicht so recht weiß, was man von ihnen halten soll, und die so einfache Einordungen wie Held und Buhmann, Opfer und Darling unmöglich machen. Warum diese unübliche Exposition?

Für mich war es wichtig, meine Protagonisten so zu präsentieren, daß man, wie im Leben, einen ersten, zweiten und dritten Eindruck von einer Person bekommt, die ja alle verschieden sind. So braucht man eine Zeit, um überhaupt eine eindeutige Haltung zu diesem Menschen zu finden.

Im Film wird das meistens ganz anders gehandhabt. Da wird eine Figur schnell und eindeutig definiert, und für den Rest des Films erfüllen sie dann ihre Aufgabe innerhalb dieser Dimension. Ich war bei „Winterschläfer“manchmal sogar etwas ängstlich, weil ich nicht genau wußte, wie weit man dabei gehen kann, jemanden ziemlich kompliziert und von innen zu zeigen und trotzdem immer ein Türchen offenzulassen, um das Publikum hereinzulassen.

Fragen: Wilfried Hippen

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