: Das Feld der Ehre
Morgens um halb elf im Kieler „Ehrenwort–Saal“ scheint Fritz Latendorf die Torte besonders gut zu schmecken. Mit geübten Griffen schaufeln die klobigen Hände des CDU–Landwirtes den Kuchen vom Teller. Kurz bevor für die ältliche Kellnerin mit frisch gestärkter Schürze und Krausellocken „das Mittagsgeschäft losgeht“ schenkt sie dem stellvertretenden CDU–Fraktionsvorsitzenden noch eine „Tass Kaffe“ ein. Danach zieht Latendorf den Kamm aus der Tasche und glättet seine ohnehin anliegenden Haare. Ein kurzer Blick auf den in CDU–Kreisen hoch geschätzten Lübecker Oberstaatsanwalt Oswald Kleiner. Der untermauert gerade die von der CDU gepflegte Hoffnung, die SPD habe in der Barschel– Pfeiffer–Affäre mehr gewußt, als Oppositionsführer Engholm bisher zugegeben hat. Folglich sieht Latendorf keine Veranlassung, Fragen zu stellen. Der Mann ist eine ostholsteinische Berühmtheit, weil er viel für die Mettwurst tut. Jeder Besucher in seinem Wahlkreis Eutin erhält ein Exemplar. Originalton des Originals: „Was Graf Bismarck unter deutschen Fürsten, ist Latendorf mit seinen Würsten.“ Originelle Zurückhaltung Eine einzige, unbedeutende Frage hat der CDU–Stellvertreter in vier langen Arbeitstagen des Untersuchungsausschusses gestellt. Gewöhnlich zieht er es vor, in eine der 168 Deckenlampen zu sehen oder auf die Stores vor den drei Meter hohen Fenstern zu blicken, die den Nebel über der Förde undurchdringlich erscheinen lassen. Was kann der Parlamentarische Untersuchungsausschuß noch zutage fördern? Substantiell ist das wesentliche der CDU–Kampagne gegen SPD, Grüne und die konservativen „Unabhängigen“ vor Barschels Tod herausgekommen. Niemand konnte Pfeiffers Angaben widerlegen, im Gegenteil, sie fanden mehrfach Bestätigung. Ohne Rücksicht auf Parteiinteressen stellte Trutz Graf von Kerssenbrock Parteifreunden Fragen und brachte sich so als „honoriger, agiler“ Mensch in die Schlagzeilen. Dann folgte Barschels Tod. Einzig sichtbares Anzeichen im Landeshaus: das Kondolenzbuch. Viele Menschen verewigten hier den Glauben an das gelogene „Ehrenwort“ und ihre „Abscheu vor den Machenschaften gegen Uwe Barschel“. Der härteste Spruch: „Das Feld, auf dem er kämpfte, hieß Schleswig–Holstein. Das Feld auf dem er fiel: Ehre.“ Ein in der Nord–CDU tief verwurzelter preußisch–militärischer Geist, naturalistisch als landwirtschaftliche „Bodenständigkeit“ bezeichnet, trug Früchte. Der „junge Schnösel“ Kerssenbrock (31) kriegte von den Altvorderen eins auf den Deckel. Die CDU–Basis, so sie überhaupt ihre Sprachlosigkeit überwindet, mag noch nicht an der Aufrichtigkeit ihres Barschel zweifeln. So fragte der Graf in dieser Woche nur noch Björn Engholm mit der anfänglichen, bohrenden Heftigkeit. Die anderen CDU–Mitglieder im Ausschuß glänzen durch Unbedarftheit. Günter–Grass–Syndrom Auch die vier SPD–Abgeordneten und ihre Stellvertreter taten sich in dieser Woche weniger durch erhellende Fragen als durch ihre qualmenden Pfeifen hervor - das „Günter–Grass–Syndrom der nördlichen Sozialdemokraten“, wie ein Kenner der Szene bemerkte. Genauso wie die CDU schonen die Sozis „ihre“ Zeugen und überschütten die der Gegenpartei mit Fragen. Etwa Oberstaatsanwalt Kleiner, der zwar Barschel, aber nicht Engholm Einsicht in die Ermittlungsakten gewährte. Auffällig ist, daß die SPD Enthüllungen über schmierige und üble Pfeiffer–CDU–Staatskanzlei–Aktivitäten immer dann präsentiert, wenn die SPD selbst in Bedrängnis gerät. In dem Moment, wo Engholms Version, er habe von den Machenschaften Pfeiffers nichts gewußt, unglaubwürdig erscheint, berichtet der Oppositionsführer von den schweinemäßigen Anrufen des Dr. Wagner alias Pfeiffer. Prompt beherrschte dies am Donnerstag die Schlagzeilen. Es ist nicht auszuschließen, daß die SPD weitere Sauereien offenbart, aber eben mit dem ihr genehmen timing. Insofern hat sie im Moment die besseren Karten im Vorwahlkampf auf der Bühne des Untersuchungsausschusses. Umgekehrt könnte auch die CDU noch einiges über die Mitwisserschaft der Opposition zutage fördern. Substantiell erwarten Insider keine großen Sensationen mehr. Dazu funktioniert der „Familienbetrieb“ Schleswig–Holstein noch immer zu gut. Man kennt sich vom Segeltörn oder Rotary–Verein, hat vielleicht über die hohe Arbeitslosigkeit und die Werftenkrise gestritten, aber ansonsten ging alles seinen bürokratisch–scheinfriedlich–machtpolitischen Gang. Da nimmt es nicht wunder, daß in der Aufregung die Namen Schleifer und Pfeiffer, Asmussen (davon gibts mehrere), Ahrendsen im Ausschuß oder in der Presse durcheinander geraten. Der einzige, der cool und präzise Fragen stellt, ist Prof. Samson, Rechtsbeistand des Toten. Allein, auch er mußte zugeben, keine neuen Tatsachen zur Entlastung Barschels vorbringen zu können. So werden die CDU–Leute gnadenlos, wie ihr Ex–Vorgesetzter es praktiziert hat, versuchen, sich reinzuwaschen. Und die SPD wird ihre Opferrolle zu beweisen trachten. Überdeutlich ist das Interesse aller Parteien, den Untersuchungsausschuß als Vorwahlkampf–Plattform für die Neuwahlen im kommenden Frühsommer umzufunktionieren. Die Schaugefechte haben begonnen. Sowohl CDU als auch SPD setzen auf Verzögerung, wenn auch unterschiedlich stark. Dafür sprechen die vorgelegten oder in Vorbereitung befindlichen, zahllosen Beweisanträge. Ein Ergebnis des Untersuchungsauschusses - nach Auffassung von SPD und CDU muß es vor den Neuwahlen im Landtag diskutiert werden - ist vor Jahresende nicht mehr zu erwarten. Zeit genug also für Fritz Latendorf, seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen und Mettwürste zu verteilen. Im Ausschuß vermissen viele den Anblick der ausgebeulten Hosentaschen, in denen Latendorf die Wurst und die Eintrittsformulare für den Fußballclub „Eutin 08“ trägt.
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