: Das Entzücken am Fehlerchen
Beichtstuhl und Schaufenster zugleich: Seit 1986 gibt es in der Kultur die „Berichtigung“
Manchmal geschehen seltsame Dinge in Kulturredaktionen, auch (manche sagen: gerade) in der taz. Zum Beispiel kommt es vor, dass eine Kollegin oder ein Kollege die Zeitung des Tages vor sich liegen hat, in ihr einen Fehler findet – und in helles Entzücken verfällt. „Das ist ja mal ein richtig schöner Fehler!“ Solche Ausrufe hat man im vierten Stock des taz-Gebäudes, wo die Kulturredaktion sitzt, schon gehört. Manchmal findet der Kollege oder die Kollegin aber auch keinen Fehler, was ja eigentlich ein Grund zur Freude ist, in diesem Fall aber zu einem zum Redaktionsschluss hin zunehmend hektischen Suchen führt – zur Not freut man sich schließlich auch über ein klitzekleines Fehlerchen.
Das sind für Redakteure im Grunde atypische Verhaltensweisen. Aber letztlich lassen sie sich ziemlich leicht erklären. Sie liegen an einem kleinen Kasten, in der Regel zwischen 12 und 18 Zeitungszeilen lang, der täglich auf der ersten Kulturseite der taz steht, meistens rechts unten. Das ist die „Berichtigung“, und es gehört zu den Pflichten desjenigen Kollegen, der die aktuellen Kulturseiten produziert, sie zu schreiben. Weshalb das erfolgreiche Fehlerfinden manchmal zu einem kleinen Fest, die erfolglose Fehlersuche aber zu einer kleinen Qual werden kann. Wenn sich partout kein Fehler finden will, muss man halt übers Wetter, die lieben Kollegen oder auch mal irgendeinen Quatsch ein paar Zeilen verlieren.
Erfunden hat die „Berichtigung“ die Journalistin Christiane Peitz, in den Achtzigern Kulturredakteurin bei der taz, heute stellvertretende Kulturchefin beim Tagesspiegel. Im Gespräch erzählt sie, wie es dazu kam. Und zwar gab es einmal wirklich einen gravierenden Fehler zu berichtigen, und Christiane Peitz habe dann in die Runde gesagt: Lass uns das doch täglich machen! Arno Widmann, heute bei der Berliner Zeitung, damals Magazinredakteur der taz, habe sofort geantwortet: Super Idee! Und Thierry Chervel, heute beim Perlentaucher, damals taz-Kulturredakteur, fand das auch ganz klasse.
Umgesetzt wurde die Idee dann bei einer Layoutreform, bei der die Kultur- und die Magazinseiten zusammengelegt wurden und das Erscheinungsbild der Seiten, nach Entwürfen der damaligen Layouterin Françoise Cactus, neu festgelegt wurde. Auf der ersten Kulturseite sollte in der Regel auf der oberen Hälfte ein großes Foto, auf der unteren Seite ein großer, oft essayistischer Text stehen – und daneben als kleines, feines Element die „Berichtigung“. Neben einer Richtigstellung sollte es hier, so es gelingt, ein wenig sprachlichen Mehrwert, zumindest ein Pointe geben. Voilà, bei dieser bewährten Aufteilung ist es in der Regel bis heute geblieben.
Christiane Peitz erklärt sich ihre damalige Idee heute halb ernst mit ihrem katholischen Hintergrund: Die „Berichtigung“ sei für sie so etwas wie ein täglicher Beichtstuhl. Aber das ist natürlich nicht alles. Darüber hinaus war es von Anfang an gute taz-Tradition, mit den eigenen Unzulänglichkeiten und Fehlern selbstironisch umzugehen – die „Berichtigung“ bot dafür nun täglichen Raum. Wer will, kann auch richtig medientheoretisch werden: Die Einsicht, dass es gut ist, den Prozess des Zeitungsmachens auch immer selbst zu reflektieren und für die Leserinnen und Leser transparent zu machen, diese Grundeinsicht der taz ist in der „Berichtigung“ aufbewahrt.
Man kann hier ein wenig von sich erzählen – und so ist der Kasten bis heute ein Stimmungsbarometer der Redakteure und ein kleines Schaufenster in die Kulturredaktion geblieben.
DIRK KNIPPHALS