: Das Entweder-Oder-Gefängnis
■ Der Brook-Schauspieler Yoshi Oida inszeniert Molly Sweeney im TiK
Vielleicht hätte der kleine, freundliche Mann seine Verabschiedung an den Anfang des Interviews stellen sollen. „Ich hoffe, sie wollen mich jetzt nicht schlagen“, lächelt er; „Journalisten, glaube ich, wollen mich immer schlagen nach Interviews. Weil ich nie etwas Konkretes sage, sondern immer so rede.“Und erklärt nickend und kopfschüttelnd dieses so, indem er seine Hand schlangengleich durch die Luft windet. „So ist aber die Wirklichkeit. Wir müssen uns befreien aus dem Gefängnis des Entweder-Oder.“
Der japanische Schauspieler und Regisseur Yoshi Oida inszeniert im TiK Molly Sweeney, ein Gegenwartsstück des irischen Autors Brian Friel. Es erzählt die Geschichte der blinden Molly, die ein sehr glückliches Leben führt, bis man sie zu einer Augenoperation überredet. „Was hast du schon zu verlieren?“argumentieren ihr ehrgeiziger Ehemann und der nicht minder geltungsbedürftige Arzt. Molly, Wettkampfschwimmerin, Tänzerin und in der Lage, alle Blumen des Gartens an Geruch und Gestalt zu unterscheiden, sieht das genau entgegengesetzt: „Was“, fragt sie, „kann ich schon gewinnen?“Alles und Nichts. Molly endet in einer Nervenheilanstalt, allein.
Das Stück ist kein Stück, behauptet Oida, und über eine Blinde schon gar nicht. Mit Annette Paulmann, Hans Kremer und Christoph Bantzer hat er es in der Tradition des Story-Tellings inszeniert. „Es geht allein um die Schönheit und das Mysterium des menschlichen Wesens“, sagt Oida, „jedes Theaterstück geht darum. Ich hätte genausogut einen Krimi inszenieren können, alles, außer Shakespeare. Shakespeare verstehe ich nicht.“
Doch es fällt schwer, Oida die betonte Zufälligkeit und Unerheblichkeit des Themas abzunehmen. Schon seine erste Rolle im Ensemble Peter Brooks 1971 war die eines Blinden, und auch bei Brooks letztem Gastspiel in Hamburg beeindruckte Oida mit der sensiblen Darstellung eines Menschen ohne optische Orientierung. „Molly ist es egal, was real und was Fantasie ist. Das ist eine sehr wertvolle Erfahrung“, sagt Oida, endlich ganz entschieden: „Ich möchte Molly Sweeney sein.“ Christiane Kühl
Premiere: Freitag, 9. Mai, 20 Uhr, TiK
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