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Das Ende der Woche der u31-tazSchluss mit Jugend

Die freundliche Übernahme der taz ist zu Ende - aber nur offiziell. Sicher ist dennoch: Die vergangene Woche war in jeder Hinsicht ein ereignisreiches Experiment.

Die täglichen Redaktionskonferenzen waren voller als gewohnt. Bild: taz

BERLIN taz | Es ist der letzte Tag und morgens steht es neun zu vier. Unter dem Tisch des Layouters Tim Seidel steht ein Karton mit Club-Mate-Flaschen, neun sind ausgetrunken, vier sind noch voll. Eine Flasche enthält 100 Milligramm Koffein, Tim hat in den letzten Wochen viele Nachtschichten gemacht. Er hat das Layout für den Machtwechsel in der taz entworfen.

Am Montag, in der ersten Ausgabe der Woche, in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter 31 Jahren die Leitung der taz übernommen haben, waren zwei Chefredakteurinnen auf dem Titel. Die bisherige und die neue. Es war unsere erste Diskussion über eine Seite eins. Am Ende stimmte eine Mehrheit für den Vorschlag, auch wenn sie das Konzept dieser Woche zu stark vereinfacht. Das, was sich in den letzten Tagen in der taz verändert hat, ist kein von oben entworfenes Gesamtkonzept. Es ist eine Sammlung von Ideen einzelner Menschen. Junger Redakteurinnen, Praktikanten, Volontäre.

Aber die haben an diesem Freitag noch keine Zeit, darüber zu sprechen. Frauke Böger winkt ab. Sie ist nicht nur verantwortlich für das Schwerpunkt-Ressort - die vorderen Seiten der Zeitung -, sondern muss auch noch einen Film für taz.de schneiden. Franziska Seyboldt, von der die Idee kam, das Gesellschaftsressort tazzwei und die Kultur zusammenzulegen, muss sich zu Hause von den letzten vier Tagen erholen. Fotoredakteur Mathias Königschulte und Chefin vom Dienst Verena Schneider darf man vor 17.30 Uhr nicht fragen, ob sie kurz Zeit haben. Jeder von ihnen macht Arbeit für drei.

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Und die Atmosphäre hat sich verändert. Praktikantin Julia Herrnböck, deren Namen bis vor einer Woche in der taz noch kaum jemand kannte, stellte am Freitag Fragen an Innenminister Thomas de Maizière, der zum Redaktionsbesuch in der taz war. In der ersten Reihe saßen vier Redakteure über 31. Und mindestens 15, die jünger waren.

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Bildergalerie mit einem Überblick über die Akteure.

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3 Kommentare

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  • H
    Hannes

    Die Autoren mancher Artikel dieser Experimentalwoche kann ich mir bildlich vorstellen. Besser gestelltes Elternhaus mit akademischem Hintergrund, alternative 68er-Erziehung, Selbstverwirklichung weist heiligen Charakter auf - und dann noch bei der "taz" zum Praktikum / Volontariat gelandet.... Leider mangelt es diesen Leuten (oft) an dem Blick auf die wirklichen Probleme, auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realitäten. Die spielen sich nämlich für eine wachsende Zahl von Menschen leider nicht auf der Sonnenseite, Uni und Festivals ab.

  • C
    Corinnsky

    Ein mutiges Experiment - das aber zeigt, dass junge Redakteure ein Recht auf die Zusammenarbeit mit guten und erfahrenen Berufskollegen haben sollten.

     

    Das besonders Spannende an diesem Experiment war für mich die Frage: Was ist besser an einer Zeitung, wenn junge JournalistInnen sie machen. Ich fragte mich täglich, was macht für mich eine gute Zeitung aus, die ich mit Lust lese. (wenn ihr das (!) provozieren wolltet - ist es gelungen!).

     

    Faktisch aber habe ich mich oft dann gefragt, ob es wirklich ein Zeichen meines Alters ist, wenn ich viele Beiträge langweilig, flach und sprachlich schlecht fand. Der jugendliche Jargon, die gewollten, meist jedoch individualistisch und politisch flach wirkenden Appelle am Ende vieler Artikel (sogar vieler Kommentare) an die Gleichaltrigen ... ist dieses Gebaren nun jugendlich - oder schlicht schlechter, unerfahrener Journalismus? Ich fand all dies schwer zu ertragen. Bin ich als (jahrzehntelang treue Leserin der taz) geschult - durch eine kritische, gut informierte Zeitung, die mich bereichert, kritisch zu denken - so fehlte mir dies eine Woche lang. Die Kritik am Establishment etc.... all das ist für jugendliches "ASTA Gehabe", wenn ich es einmal platt sagen darf.

    Während ich ungeduldig auf die Rückkehr der alten Taz warte, frage ich mich, worauf bezieht sich diese Ungeduld, die eigentlich ja ein Zeichen der Jugend ist.. Mein Fazit: Eine gute Zeitung ist geprägt von einem qualifizierten Blick, der Erfahrungswissen und reflektiertes historisches Wissen mit aktuellen Themen korreliert. Ein Beispiel für Politik, in der nur "das Gefühl" der Jugend gilt und großer Blödsinn rauskommt, fand ich in dieser Woche dann in einer anderen Zeitung - in der ZEIT. Dort gab die neue Familienministerin ein Interview. Wenn Christina Schröder sich berufen fühlt, ihre Gefühle in der Politik als wesentlich zu setzen und darin historische Dimensionen gering achtet - dann offenbart eben dies die Problematik der protegierten jungen Politikerin. Sie distanziert sich vom Feminismus (den sie gleichsetzt mit Kritik an Männern als Personen) und von der "These von Simone de Beauvoir", dass Mädchen und Frauen zu diesen gemacht und nicht als diese geboren würden. All dies ist grober Unfug. Politisch gefährlich aber wird es, wenn sie nicht erkennt und reflektiert, dass ihre eigene Position auf eben diese Bewegung, von der sie sich distanziert, zurück geht. Sie distanziert sich von Simone de Beauvoir (sie folge nicht der These, dass Mädchen nicht als Mädchen geboren, sondern zu solchen gemacht würden). Würde sie begreifen, dass die These von Simone de Beauvoir eine bahnbrechende - eben hoch politische - aber in ihrer Zeit zu erklärende war, würde sie politisch fundierter argumentieren können. Und auch ihre Distanzierung vom FEminismus (sie distanziert sich von der " Kritik an Männern") ist eine Anbiederung an die Machtprägenden. Es ist leicht, sich gefällig von einer Bewegung zu distanzieren, die sich längst selbst mit diesen historisch relevanten Positionen auseinander gesetzt hat. Was der jungen Frau nicht zugänglich ist, ist die Erkenntnis, dass sie sich von erkenntnistheoretisch relevante Durchgangsphasen distanziert (das Wissen von der Konstruktion Geschlecht und die Kritik an Machtverhältnissen/ patriarchalen Verhältnisse machte sich natürlich an Männern fest - an wem sonst). Was der jungen Politikerin nicht zugänglich wird, weil sie ihr Erleben und ihre Gefühle für politisch maßgeblich hält. So wurde sie protegiert... als junge Frau.

    Ähnlich wie auf dieses Interview in der ZEIT reagiere ich aber dann auch auf die Comic-Seite in der taz zum girlsday. Auch hier frage ich mich, was ist der Anspruch, dem die Journalistinnen hier folgten, als sie diese Seite auswählten. Wen will sie über die Relevanz des Girlsdays informieren?

     

    Der alte bekannte Vorwurf, die Beiträge in der taz seien manchmal nicht besser als die einer SchülerInnenzeitung, war eine Woche Wirklichkeit. Im Rückblick erscheint dieser Vorwurf wie eine zärtliche Kritik an einer großartigen Zeitung mit Tiefgang. Schön, dass dieses Experiment nun vorbei ist. Es hat deutlich gezeigt, dass gute Politik und guter Journalismus mit profundem Wissen und kritischer Reflexion korreliert sein sollte. Die vielgerühmte freche Seite der Taz, ihr rebellischer Gehalt wird nicht getrübt durch das profunde Wissen und die Blickwinkel der erfahrenen, historisch geprägten JournalistInnen. Sie hat gefehlt... die humorvolle, gelehrte und eben bewegungserfahrene Seite der Älteren - die eben auch auf Lebenserfahrung und auf die krische Reflexion des eigenen gelebten Lebens gründet.

  • J
    joHnny

    keep on running...