Das Ding, das kommt: Philharmonie ist Erdbeer
So ein Eis ist ja kein Pappenstiel. Das heißt, am Stiel sitzt es natürlich schon, aber darum geht es jetzt nicht. Nein, das Eis als Identität stiftendes Objekt soll heute Thema sein. Das Eis als wortwörtliche Einverleibung dessen, was uns am liebsten ist, denn nicht umsonst heißt es ja, man habe etwas „zum Fressen gern“.
Und was könnte für den Hamburger und seine gesammelte Touristenschar näher liegen, als die schöne neue Ikone namens Elbphilharmonie zu essen und ihr so Liebe zu zeigen? Ihr, die dem Michel als Wahrzeichen den Rang ablief und jetzt selbst – wenn schon nicht Kirche, dann wenigstens (Musik-)Tempel sein will.
So etwas Exklusives muss natürlich – auch das gehört zur nachträglichen Rechtfertigung der 800 Millionen Euro in zehn Jahren Bauzeit – nicht nur auf Federmäppchen, Handtäschchen und Radiergummis verewigt werden, sondern selbstredend auch als Eis! Genau genommen als Erdbeer-Maracuja-Wassereis. So heißt jedenfalls die von einem Norderstedter Start-up entwickelte Delikatesse, die jetzt, zum Beginn des kostenlosen Elbphilharmonie-Konzertkinos, das open air aus dem Großen Saal überträgt, wieder verkauft wird.
Da kann man also, auf dem Vorplatz lungernd und Eis lutschend, ab dem 27. August an vier Abenden das Shanghai Symphony Orchestra, das Baltic Sea Philharmonic, das Gustav Mahler Jugendorchester, die Anima Eterna Brügge und das NDR Elbphilharmonie Orchester genießen. Man muss nur aufpassen, dass vor lauter Entrückung vom Eis nichts auf die fürsorglich bereitgelegten Sitzkissen tropft.
Dabei ist es eigentlich unwürdig, dieses Super-Eis gedankenlos wegzuhauen, denn die Produktion war ganz schön kompliziert. Lange haben die zwei Norderstedter gebraucht, um die typische gezackt-gewellte Elbphilharmonie-Silhouette hinzubekommen. Was haben sie da nicht alles probiert, geschnitzt und gefriemelt! Bis sie irgendwann auf die Idee mit der maschinellen Stanze kamen.
Dabei hätten sie eigentlich nur ein, zwei, dreimal abbeißen müssen und – happs! – wäre die Silhouette perfekt gewesen. Genau so, das schwant uns jetzt, haben es wohl auch die Schweizer Weltklasse-Architekten der Elbphilharmonie gemacht: Da hat Herzogs oder de Meurons kleiner Neffe eines Sonntags ganz unschuldig an seinem Eis geknabbert. Onkel hatte schon ein paar Wodka intus, sah’s und dachte plötzlich: Wow, das ist sie! Die ultimative Form!
Der Neffe macht jetzt Abitur. Und klagt dann wegen des Patents. Petra Schellen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen