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Das Ding, das kommtGlatte Oberfläche

Rohmaterial für den Einkaufscenter-Bodenbelag „Jura Cream“ – der sieht im fertig geschliffenen Zustand glatt, glänzend, klinisch und sauber aus– fast so wie Eis Foto: Vero Stone

Ob Street Art nun Kunst ist oder purer Vandalismus, der weg muss: Darüber wurde vor elf Jahren noch heftig diskutiert. Für den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily war die Sache klar: Mit Hubschraubern und Infrarotkameras sollte Jagd auf die „Zerstörer des Stadtbilds“ gemacht werden. Kurze Zeit später gab es sogar ein Todesopfer. Ein unbeteiligter Motorradfahrer starb, nachdem er mit einem Streifenwagen auf Verfolgungsjagd zusammengestoßen war. Und noch mal wurde heftig diskutiert: ob man da nicht mit Kanonen auf Spatzen schoss?

Ob Street Art überhaupt noch Kunst ist oder nur noch purer Kommerz, darüber wird heute heftig diskutiert. Denn immer mehr Unternehmen entdecken deren Stilistik für sich, um ihren Produkten ein jugendkulturelles Image zu geben: Sportschuhhersteller plakatieren wild, Spielekonsolen werden mit Street-Art-Galerien vermarktet, App-Entwickler überziehen das Stadtbild in Guerilla-Marketingaktionen mit Graffiti, Stickern und Paste-ups. Vom unkommerziellen, gar gefährlichen Image ist nicht mehr viel übrig.

Nun ist auch Deutschlands größter Betreiber von Einkaufszentren auf den Zug aufgesprungen. In drei seiner Shopping-Center veranstaltet ECE ein Street-Art-Festival. In Hamburg findet es ausgerechnet im schicken Alstertal-Einkaufszentrum direkt gegenüber der Firmenzentrale statt. Das ist so etwas wie das Sylt der Shopping-Center – wer etwas auf sich hält, trinkt hier im dritten Stock Schampus bei Gosch.

Dessen Ästhetik ist bis zum speziell entwickelten Beleuchtungskonzept der perfekt kalkulierte Gegenentwurf zur wild wuchernden Urbanität: überall glatte, glänzende, klinisch saubere Oberflächen – der geschliffene Bodenbelag namens „Jura Cream“ sieht fast aus wie Eis. Kein Wunder, dass die Street Art sich hier vor allem hinter glatten Oberflächen austobt. Für alle, die sich mal als Straßenkünstler ausprobieren wollen, liegen Tablets aus, auf denen man nach Lust und Laune herum- und Misslungenes per Knopfdruck auch schnell wieder wegwischen kann. Und die gelungenen Ergebnisse? Kann man auf großen Bildschirmen präsentieren.

Nicht ganz so aalglatt und konsequenzlos geht es kommende Woche beim Street-Art-Festival in Wilhelmshaven zu. Dort locken noch richtige Straßenpflastermaler_innen in die Einkaufsmeile. Aber auch die malen mit Kreide, die spätestens beim nächsten Regen wieder weg ist – Angst vor zerstörten Stadtbildern, die muss auch da niemand mehr haben. MATT

Street-Art-Festival im Alstertal-Einkaufszentrum: noch Sa, 30. Juli; Street-Art-Festival Wilhelmshaven: 6. und 7. August

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