Das Buch zum Erlebnis

■ 200 Seiten, 214 Bilder: der Katalog zur Ausstellung „Aufbruch in die Fremde“

Über 10.000 BesucherInnen haben bisher die Wanderung durch die Ausstellung „Aufbruch in die Fremde“ angetreten. In nachgebauten Räumen, zwischen lebensgroßen Photos und mit Geräuschimitationen aus Kopfhörern konnten sie die beschwerlichen Stationen einer Auswanderungsprozedur von Europa nach Nordamerika nachvollziehen.

Die „Erlebnisausstellung“, noch bis Sonntag in der Unteren Rathaushalle zu sehen, zieht am 10. September weiter nach New York, nach Ellis Island, der ehemaligen Einwanderungsstation. Das ausstellungsbegleitende Buch „Aufbruch in die Fremde“ aber bleibt hier und ist in jeder Buchhandlung zu beziehen.

Viel mehr als ein Katalog ist „Aufbruch in die Fremde“ (Hrsg. Dirk Hoeder und Diethelm Knauf) eine ausführliche historisch-soziologische Darstellung und Analyse der europäischen Auswanderungsbewegungen nach Übersee, illustriert mit oft sehr bewegenden Photos.

Allein in die Vereinigten Staaten zogen im letzten Jahrhundert 33 Millionen Männer, Frauen und Kinder. Viele zur endgültigen Übersiedlung, viele aber auch in der Hoffnung, wieder zurückzukehren, um mit erworbenem Reichtum in der Heimat doch noch eine Existenz aufbauen zu können. Das Schicksal eines „Hans Schmidt“ - so hießen für die Amerikaner alle deutschen Männer — ist eine der exemplarischen Auswanderer-Biographien, die in „Aufbruch in die Fremde“ nachzulesen sind.

Die Migrationsbewegungen führten nicht nur von Deutschland nach Nordamerika. Zu allen europäischen Ausgangskulturen gibt es Einzelkapitel und Aufsätze, von Irland, über Skandinavien bis zu den Balkanvölkern. Einwanderungsländer sind neben den USA Kanada, Australien, Neuseeland und Afrika. Wer es also genau wissen will, kann „Aufbruch in die Fremde“ als eine Art Sozialgeschichtsbuch lesen.

Aber auch anschauendes Blättern in dem 200 Seiten starken Buch gibt einen Eindruck von dem Ausmaß und den Anstrengungen des Auswanderns. Tabellen, Landkarten, alte Dokumente und Zeichnungen einerseits, historische Aufnahmen von Menschen auf den Schiffen, an den Grenzen und in ihrer neuen Lebenswelt andererseits.

Angst bekommen kann man beim Anblick der alleinstehenden Mutter mit ihren vier kleinen Kindern im Sonntagsstaat bei der Ankunft auf Ellis Island. Lachen kann man über die drei Finnen in waschechter Cowboy-Kluft. Eine Augenbegehung ist möglich im gezeichneten Querschnitt eines typischen Auswanderungsschiffes.

Gleichwohl ist die Migration kein bloß historisches Phänomen, darauf weisen die AutorInnen hin: 500 Millionen Flüchtlinge zählt die UNESCO gegenwärtig weltweit. Viele von ihnen brechen in die deutsche Fremde auf. Cornelia Kurth

Dirk Hoerder/Diethelm Knauf (Hrsg.): Aufbruch in die Fremde; Edition Temmen, Bremen 1992; deutsch 34 DM, englisch 38 DM