: Das Bremer Haus als Falle
■ Ein neues Beratungsangebot für „barrierefreies Wohnen“ hilft, die Tücken im eigenen Heim zu überwinden / Ausstellung und Vorträge
Eines Tages paßte Frau K. einfach nicht mehr in ihr Badezimmer. Ein schmaler Schlauch, zu eng für die übergewichtige alte Dame. Unmöglich, sich am ausladenden Waschbecken vorbei zur Toilette und zur Badewanne durchzuquetschen. Und wenn: Der Rand der Badewanne hätte sowieso eine unüberwindliche Hürde dargestellt.
Die Lösung war nicht sonderlich schwierig. Man mußte nur drauf kommen. Die Wanne raus, eine ebenerdige Dusche rein; ein neues, schmaleres Waschbecken; Bügelstützen und Handläufe, an denen sich Frau K. sicher durchs Bad hangeln kann. „Barrierefreies Wohnen“ heißt der Fachbegriff für diese Form praktischer Gestaltung. 55 Beispiele solcher „Wohnungsanpassungen“ gibt es in Bremen, seit das Amt für soziale Dienste gemeinsam mit einer Architektin entsprechende Maßnahmen anbietet. Der Bedarf ist freilich weit größer – und die Architektin ist weit und breit die einzige, bei der Fachkenntnis und soziales Engagement zusammenkommen. Eine Ausstellung in der Architektenkammer und eine Vortragsreihe im Design-Zentrum sollen das Thema in Bremen jetzt mehr publik machen.
Bewußt vermeidet Meike Austermann-Frenz das Wort „behindertengerechtes Wohnen“. Wenn sie Bremer Häuser barrierefrei macht, dann zum Nutzen möglichst vieler Bewohner. Also: kein Spezial-Waschtisch mit besonderen Maßen; lieber gleich den Waschtisch mit verstellbarer Höhe einbauen. Dann können auch spätere Mieter das Bad benutzen, ohne sich den Rücken zu verbiegen.
Damit folgt die Architektin einer neuen Linie, die bundesweit im Trend liegt. Im vergangenen Jahr einigten sich Fachleute auf eine neue DIN-Norm für den Wohnungsbau. Diese zielt auf Standards vom Wohnungszuschnitt bis zur Steckdose, „die möglichst vielen Menschen gerecht werden sollen, Kindern, Alten, Klein- und Großwüchsigen, Müttern mit Kleinkindern und Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen“, sagt Austermann-Frenz. Doch diese Standards lassen sich nur mühsam durchsetzen.
Vor allem deshalb, weil die Chancen eines „barrierefreien“ Wohnens im Bewußtsein der Bauherren meist gar nicht vorhanden sind. Schließlich schlagen die neuen Standards mit Mehrkosten zwischen zwei und zwölf Prozent der Bausumme zu Buche. Statt gänzlich „barrierefreier“ Häuser gibt es bei Neubauten in Bremen meist nur einen geringen Prozentsatz „behindertengerechter“ Wohnungen im Erdgeschoß.
Im Bewußtsein vieler Mieter ist das Problem auch nicht sonderlich ausgeprägt. Gerade ältere Menschen, sagt die Architektin, hätten sich halt an ihre Wohnung gewöhnt, mit all ihren Hindernissen. Gerade das „Bremer Haus“, der dominante Bautypus der Stadt, steckt voller Hindernisse. „Schon die Erschließung ist für einen Rollstuhlfahrer eigentlich gar nicht möglich“, sagt Austermann-Frenz. Denn ins Bremer Haus führen alle Wege über Treppen, ob ins Souterrain oder ins Erdgeschoß. Drinnen aber sind die Bedingungen nicht schlecht, sagt die Architektin: „viel Bewegungsraum“. Rollstuhlfahrer brauchen mindestens 1,20 Meter, um sich umdrehen zu können.
Aber dann die Kleinigkeiten. Steckdosen in Bodenhöhe, Schwellen zwischen allen Zimmern, selbst kochen geht für Rollstuhlfahrer auch nicht: unterm Herd verbaut ein Schrank den nötigen Freiraum. „Das müssen die Betroffenen einfach selbst entscheiden können“, sagt die Architektin: „Brauch' ich den Herd? Will ich meine Kaffeetasse selbst abspülen können, wenn der Besuch weg ist?“ Das „barrierefreie“ Wohnen sei daher vor allem als Weg zu einem selbstbestimmten Leben zu verstehen.
Doch die passenden Produkte, die Allzweck-Steckdosen, Tische und Kleider, wollen erstmal gestaltet sein. „Wie muß der Stecker aussehen, damit ihn eine Mutter mit ihrem Kind auf dem Arm locker aus der Steckdose ziehen kann?“ Fragen wie diese sollen Designer auf zwei Workshops erörtern, die das Bremer Design-Zentrum demnächst anbietet . tw
Infos: 434 02 91
Ausstellung „Wohnen ohne Barrieren“, z.Zt. der der Architektenkammer, Geeren 41/43 (bis 16.2.)
Vortrag „Barrierefrei ist eine soziale Dimension“, am 15.2. ,20 Uhr in der Architektenkammer
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