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■ bücher.kleinDas Böse

„Ist das denn faschistisch?“ fragt der US-amerikanische Kinderanwalt Andrew Vachss an einer Stelle des Interviews, das Claus Leggewie mit ihm führte. Ja, hierzulande werden einige genau dies denken. Etwa wenn der Mann, der sich in den USA besonders für sexuell mißbrauchte Kinder einsetzt, vom „Bösen“ spricht, das in den Menschen nun mal sei. Oder wenn er drei Arten von Tätern benennt: die armen Nichtwissenden, die psychisch Kranken und die bewußt und lustvoll kriminell Agierenden. Letztere will er für immer wegsperren und niemals resozialisieren, weil dies nichts fruchte und die Gesellschaft sich vor diesen „Bestien“ dauerhaft schützen müsse. Ja, Andrew Vachss ist ein Unikum. Einen wie ihn gibt es in der Bundesrepublik nicht. Einen, der etwa durchaus dem linksliberalen Mainstream entsprechende Reformvorschläge macht, was den Schutz und die Rechte von (mißbrauchten) Kindern anbelangt. Aber dann auch einen, der massiv die Pädophilen angreift und ihnen jene Rechte auf sexuelle Selbstbestimmung abspricht, für die sie lange kämpften. Einer wie Vachss, der zwischen aufgeklärtem Pragmatismus und voraufklärerischer Hybris mit seiner Aura als „Krieger“, als „Racheengel“ den Kinderschändern den Kampf ansagt.

Claus Leggewie ist es gelungen, den Mann zwischen den Fronten wandern zu lassen. Das Interview offenbart sich hier als Segen, besonders weil Leggewie häufig den Part des liberalen Zweiflers an Vachssens oft martialisch anmutenden „Lösungen“ übernimmt. Und doch ist es kein Streitgespräch, sondern zeigt mehr Leggewies Versuch, Vachss der allzu simplen „rechten“ Verortung zu entziehen. Denn da schreit keiner nach Law and order im klassischen Sinne, Vachss ist ein strikter Gegner von Todesstrafe wie Zensur. Aber auch gleichzeitig kein Anhänger der vulgären These des „alle Männer sind Vergewaltiger, alle Männer sind Kinderschänder“. Das Entscheidende und letztlich Relevante an Vachssens Position ist die absolute Priorität, die er den Opfern einräumt. Als Nebenkläger mißbrauchter Kinder hat er den empirischen Horizont, der ihm solche Klarheit und Zielgeradigkeit erlaubt. Sein Vergleich mit dem Beginn der Vergewaltigungsdiskussion ist erhellend. Denn wie lange dauerte es, bis man den Frauen glaubte und auch begriff, daß besonders die Familie zentraler Tatort ist?

Allen, denen an einer offenen und kontroversen Debatte liegt, sei das Gespräch anempfohlen. Und vielleicht schenkt ja der Verlag – stellvertretend für die in der Bundesrepublik festgefahrene Debatte – sowohl den Frauen von Wildwasser als auch Katharina Rutschky ein Exemplar zu Weihnachten? Andrea Seibel

„Andrew Vachss, Claus Leggewie im Gespräch Über das Böse“. Eichborn Verlag, Ffm 1994, 171 Seiten, 28 DM

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