: Das Blutwunder vom Habsberg
■ Oberpfälzische Turbulenzen: Gotteslästerung? Betrug? Mirakel?
Zweihundertdreißig Jahre lang stand die namentlich Maria und dem Heil der Kranken gewidmete Wallfahrtskirche auf dem Habsberg im oberpfälzischen Velburg da, ohne überregional oder gar international von sich reden zu machen. Doch seit neuestem wird das architektonische Schmuckstück aus dem Rokoko umlagert wie ein Hotel, das einen Popstar beherbergt.
Der Star ist in diesem Fall eine Marienstatue, von der es heißt, sie weine seit der Sonnenfinsternis, die am 11. August stattfand, einmal wöchentlich Blut, zwei Minuten lang, immer donnerstags gegen halb zwölf Uhr mittags. „Wenn ich es nicht selbst gesehen hätte, würde ich es nicht glauben“, sagt Andreas Vöst, ein einheimischer Einzelhandelskaufmann, der 1971 in der Wallfahrtskirche gefirmt wurde und zwanzig Jahre später aus der Kirche austrat. „Ich glaube nicht an Wunder, sondern nur an das, was ich sehen kann. Und was ich gesehen habe, hat mich dazu gebracht, wieder in die Kirche einzutreten.“
Auch andere wollen das Blutwunder vom Habsberg gesehen haben, und manche behaupten sogar, sie hätten ein paar Tropfen von dem Blut aufgefangen, dem wundersame Heilkraft zugeschrieben wird. Mit diesem Blut benetzte Wunden sollen sich geschlossen haben, und es geht das Gerücht um, dass eine Frau, der man das Blut auf die Lider strich, vom grauen Star geheilt worden sei.
Viele Kirchgänger sind indessen so ratlos wie der Seelsorger Ludwig Lang (48), der seinen Urlaub auf Menorca wegen der Gerüchte um das Blutwunder abgebrochen hat und zurück nach Velburg geeilt ist, in sein heimatliches Kirchspiel. „So was hatten wir hier noch nicht“, sagt er, verweigert aber jeden weitergehenden Kommentar.
Der Öffentlichkeit wird der Zugang zur Wallfahrtskirche seit einigen Tagen verwehrt. Auch Journalisten werden nicht mehr vorgelassen. Selbst einem Team des Bayerischen Fernsehens ist gestern die zunächst erteilte Dreh-Erlaubnis von höchster Stelle wieder entzogen worden. Doch der Andrang der Schaulustigen, der zutiefst Gläubigen und auch der unheilbar Kranken, die sich eine Wunderheilung erhoffen, wächst täglich.
Die meisten haben erst durch Mundpropaganda von der Sache erfahren. „Von den Medien wird das systematisch totgeschwiegen“, erklärt Heinz Hundhammer, der schon vor einer Woche seine Friedhofsgärtnerei in Sulzbach-Rosenberg im Stich gelassen hat, nach Velburg gepilgert ist und jetzt einer Bürgerinitiative vorsteht, die sich seit kurzem auch auf juristischem Wege Einlass in die Wallfahrtskirche zu verschaffen sucht. „Denen passt es nicht in den Kram, dass solche Dinge nicht nur in Altötting oder oder Spanien passieren, sondern eben jetzt auch mal bei uns. Da wird vom Vatikan Druck ausgeübt auf die Fernsehanstalten, auf die Agenturen und die Medien im Allgemeinen. Und deswegen hört und liest man darüber nichts.“
Tatsächlich hat zumindest die Lokalpresse noch kein Wort über das Blutwunder verloren, das den Hoteliers und Pensionswirten in Velburg und Umgebung durchaus willkommen ist, aber dem soliden Ruf des Orts auf lange Sicht auch schaden kann. In der christlich-sozialen Mittelstandsvereinigung Velburgs gehen die Meinungen dazu auseinander. Ein Vorstandsmitglied bringt das Dilemma auf den Punkt: „Auch Narren schaffen Geld nach Velburg. Die Narren gehen wieder, und ihr Geld bleibt hier. Das ist gut. Das ist Marktwirtschaft, wie sie sein soll. Aber wenn hier ein Mekka für religiöse Spinner entsteht, bleiben irgendwann die soliden Touristen weg, und das wäre katastrophal für den Standort Oberpfalz.“
Manchen frommen Katholiken ist das angebliche Blutwunder schon jetzt ein Dorn im Auge. Von „Betrug“ und „Gotteslästerung“ ist die Rede. Unbekannte haben die Worte „Ihr dient Satan!“ mit Leuchtfarbe ans Kirchenportal geschmiert. Noch hat sich niemand zu der Tat bekannt. Die Gereiztheit in der Stadt nimmt zu.
Jetzt warten alle auf ein klärendes Wort von den Bischöfen, die seit gestern im nahe gelegenen Nürnberg hinter verschlossenen Türen tagen. Wir berichten weiter. Gerhard Henschel
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