: „Das Bild muß mindestens fünfspaltig sein“
■ Die Einführung in den Lokaljournalismus / 9. Lektion: Aussterbende Berufsgruppen
Sie haben es geschafft. Unter ominösen, nicht mit letzter Sicherheit aufzuklärenden Umständen ist durch das frühzeitige Verscheiden eines Mitarbeiters in der Redaktion Ihrer Lokalzeitung ein Plätzchen frei geworden. Sie wurden eingestellt, und Sie sind endlich LokalredakteurIn. Doch bevor Sie zur Arbeit schreiten ist es Zeit für einen Benimmlehrgang für den Umgang mit einer besonderen Spezies im Zeitungswesen: den FotografInnen oder auch den sogenannten Knipsern.
Wenn Sie glauben, Fotos sind das belebende, spielerische und vor allem variable Element einer jeden Zeitung, dann liegen Sie genau richtig. Doch sagen sollten Sie das nicht. Behalten Sie – psssst – diese Wahrheit für sich. Kommen Sie niemals an einem Ihrer ersten Arbeitstage in die Redaktion und rufen laut: „Ich liihiiieeebe es, Bilder zu beschneiden!“ Ein Knipser könnte in Ihrer Nähe sein, und Sie haben die Police für Ihre Lebensversicherung noch nicht unterschrieben.
Fotografen und Fotografinnen sind nämlich sensible Geschöpfe. Auch wenn mancher von ihnen hundert Bilder pro Stunde abliefert und ein anderer nur ein Bild am Tag: Sie sind die eigentlichen Seismographen der technischen Revolution im lokalen Zeitungswesen. Und Sie haben auch allen Grund dazu: Nach den SäzzerInnen und den TexterfasserInnen gehören sie einer Gruppe an, die schon jetzt auf der roten Liste aussterbender Berufsbilder steht.
Das glauben Sie nicht? Zeitungen ohne Bilder sind wie Kommentare ohne Meinung, sagen Sie? Dann haben Sie zugleich recht und unrecht. Natürlich sind Zeitungen ohne Bilder wie Kommentare ohne Meinung. Aber erstens ist es gar nicht mehr üblich, im Kommentar eine Meinung zu vertreten. Und zweitens sagt das Gleichnis nichts darüber aus, wer die Bilder macht. Denn schon an Ihrem ersten Arbeitstag wird Ihnen der Lokalchef eine technische Neuheit zeigen: Es ist das gerade eben erworbene, „spielend leicht zu bedienende“, „absolut kindersichere“, sogar „vom trotteligsten Redakteur zu benutzende“ digitale Bildbearbeitungssystem. Als „Quantensprung“ und als „Revolution“ wird der Chef es Ihnen anpreisen, Ihnen etwas vom gebrochenen Widerstand der Gewerkschaften zuflüstern und Ihnen eine Kamera in die Hand drücken: „Voll digital, spielend leicht zu bedienen, einfach nur hier drauf drücken, kann gar nichts schief gehen!“ Mit zwei Mark pro Bild als Zulage zum fürstlichen Redakteursgehalt wird Ihnen die Mühe entschädigt.
Natürlich geht am Anfang etwas schief. Auf den Bildern, die eigentlich die Speckattentate der Umlandbürgermeister auf den Frank-Haller-Wall zwischen Bremen und Niedersachsen dokumentieren sollten, ist nichts zu sehen. Das Portrait des Generalissimus Frank Haller in neuer Gardeuniform ist im Gegenlicht ersoffen. Leider hatte auch die Komplikation im digitalen Bildbearbeitungssystem wieder mal eine Komplikation. Deshalb verzichten Sie bis auf weiteres auf das Zubrot von zwei Mark pro Bild und halten sich an die professionellen FotografInnen.
Sie brauchen nur vorsichtig mit Ihnen umzugehen. Loben Sie den Kollegen Schnellknipser für seine Schnelligkeit und bewundern Sie ihn dafür, daß er schon zum dritten Mal in dieser Woche seine Kameraausrüstung komplett gegen eine neue ausgetauscht hat. Loben Sie den Langsamknipser für seine künstlerische Arbeitsauffassung und für die Anmut, die aus seinen Bildern spricht. Sagen Sie ihm niemals: „Da sind ja schon wieder keine Menschen drauf.“ Denn dann wird er antworten: „Doch da!“ Und er wird Ihnen ein winziges Bildpünktchen zeigen und Sie in einem stundenlangen Auf-Sie-ein-reden dazu nötigen, das Bild sechsspaltig quer, mindestens aber fünfeinhalbspaltig zu plazieren.
Ohnehin gilt: Werden Sie ruhiger, gelassener, professioneller. Wenn der Knipser schimpft, seine kongeniale und lebensgefährliche Arbeit sei absolut beschissen bezahlt, er leide am Dauerstreß, und die Chemikalien im Fotolabor ruinierten den letzten Rest seiner Gesundheit, dann geben Sie ihm Schokolade. Wenn der Fotograf wieder schreiend durch die Redaktion läuft, weil der schwarze Rand am Bild ärgerlicherweise abgeschnitten wurde, die Bildunterschrift nichts mit dem Foto zu tun hat oder Copyrights nicht eingehalten wurden, geben Sie ihm Baldrian/eine Zigarette/ein Bier (unzutreffendes streichen). Denn Sie wissen natürlich längst, daß für die nächste Generation der digitalen Bildbearbeitungssysteme keine Bilder mehr nötig sind. Mit einem ausgewogen kritischen Kommentar schmeicheln Sie sich endgültig bei den Knipsern ein. Und mit Ihren schreibenden KollegInnen teilen Sie die heimliche Vorfreude auf das Ende einer lästigen Ära. ck
In der nächsten Folge lernen Sie, wie man mit der Formel „ Das interessiert den Leser“ jede Redaktion überzeugt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen