Das Befinden der Muslime nach Oslo: Wer will das wissen?
Interessiert es uns, wie es den Muslimen in Deutschland nach dem Massaker von Oslo geht? Ein Text über Fragen, die gestellt werden, und die eine, die wichtig wäre.
Elf Tage nach den Attentaten in Norwegen dieses Bild: Der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg nimmt an der Trauerfeier für die kurdischstämmige Norwegerin Bano Rashid in einer Moschee teil. Da stand er, der norwegische Sozialdemokrat, bei denen, die der Attentäter gemeint hatte, die Muslime.
Genau dagegen hatte Anders Behring Breivik seine Kugeln abgefeuert. Die Kugeln, mit denen er Sozialdemokraten erschoss, galten eigentlich diesen Menschen und diesen Bildern. Norwegische Muslime in einer Moschee und unter ihnen ein christlicher Ministerpräsident. So war die Tat gemeint.
Der Attentäter erschoss schließlich nicht deshalb Sozialdemokraten, weil die Sozialdemokratie für die Schaffung von Arbeitnehmerrechten steht oder für die Forderung "Arbeiterkinder auf Universitäten", sondern weil Breivik der norwegischen Sozialdemokratie unterstellt, mit Muslimen demokratisch gleichgestellt zusammenleben zu wollen. Wie lebt es sich fortan wohl als muslimischer Norweger?
Wahrscheinlich ganz ähnlich, wie es sich in Deutschland weiterlebte, nachdem man die Häuser derjenigen Menschen anzündete, die nicht Schiller oder Schmidt heißen. Und wie fühlt sich das an? Wer mag dieses Gefühl beschreiben? Und will es überhaupt jemand wissen?
Elf Tage nach den Attentaten in Norwegen. Wie viele muslimische Europäer haben wohl gedacht, die Tat hätte auch in ihrem Land geschehen können. Kann man das denken und ruhig bleiben? Wie groß sind die Handlungsspielräume der möglichen Haltungen, die man einnehmen kann, wenn man Mitglied einer Gruppe ist, die wahlweise als islamistisch, fundamentalistisch, rückständig, besonders kriminell, besonders ungebildet, besonders gebärfreudig, besonders bedrohlich, besonders zerstörerisch für Wirtschaft, Fortschritt oder Demokratie gilt? Wo ist in den vergangenen elf Tagen der Raum gewesen, in dem jemand sich dazu äußern durfte?
Eine norwegische Tat
Der Umgang der deutschen Öffentlichkeit mit der norwegischen Tat beschränkt sich auf die Frage, ob man weiterhin über Einwanderung berichten darf wie bisher. Ohnehin beschäftigt sich die Medienöffentlichkeit nie so sehr mit sich, wie wenn sie meint, über Einwanderer zu reflektieren. Diese Medienöffentlichkeit ist dabei nahezu einwandererfrei. Die Politik wiederum beschränkt sich auf Fragen der inneren Sicherheit und technischen Lösbarkeit. Warum aber bleibt so eine einfache Geste, wie der Besuch eines hochrangigen deutschen Politikers in einer Moschee, einer Schule, einem Kaffeehaus aus?
Eine einfache menschliche Geste, die sagen möchte: Wir lassen die Spaltung der Gesellschaft nicht zu, Muslime, ihr seid Mitbürger, nicht Feinde, wir stellen uns schützend vor euch! Anders gefragt: Was bedeutet das Ausfallen einer solchen Geste? Was löst es bei Schülern aus, die selbst oder deren Eltern Einwanderer sind? Was bei der migrantischen Elite auf den Universitäten? Was bei Unternehmern mit Wurzeln aus anderen Ländern?
Denn sie alle sind neben ihrer Eigenschaft als Bürger gleichzeitig Opfer der norwegischen Tat, weil sie gemeint sind. Warum gibt es in den Nachrichten keine Schalte an ein Fabriktor, wo nichtautochthone Arbeiter erzählen, wie sie über die Tat befinden?
Auch in Deutschland haben wir Gräben. Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung stimmt fast jeder vierte Befragte aus Westdeutschland und jeder zweite ostdeutsche Befragte ausländerfeindlichen Aussagen zu. Aus Norwegen hat man Bilder des Zusammenhalts gesehen. In Deutschland liest man über die Sorge Einzelner, die ihre Deutungshoheit in Fragen rund um Einwanderung und Religion bedroht sehen.
Eine simple und menschliche Frage wäre der angemessene Umgang mit der norwegischen Tat. Diese Frage zu stellen, würde bedeuten, dass der öffentliche Raum in Deutschland sich für einen Moment den Menschen öffnet, die es über Jahrzehnte hinweg, in immer wiederkehrenden Wellen, haben ertragen müssen, nicht ankommen zu dürfen. Die in immer wiederkehrenden Bedrohungsszenarien als Fremde und übermächtige Störfaktoren einer ansonsten einwandfrei funktionierenden Welt behandelt werden.
Die einfache Frage, die seit elf Tagen niemand stellt, lautet: Mitbürger, die ihr euch als Muslime seht oder gesehen werdet - wie geht es euch?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Pressefreiheit unter Netanjahu
Israels Regierung boykottiert Zeitung „Haaretz“