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Das Auge der Avantgarde

Im Metropolis: Caspar Strackes Experimentalfilm Circle's Short Circuit  ■ Von Stefanie Maeck

Erst gegen Ende der fünf nahezu unverbundenen Episoden über das abstrakte Thema der Unterbrechung in medialer Kommunikation offenbart der Avantgardefilm Circle's Short Circuit von Caspar Stracke sein postmodernes Verfahren. Im Stile des expressio-nistischen Films ziehen hier, zunächst schweigend, höchst ansprechende Bilder vorbei, die den Roman Lécume des jours von Boris Vian szenisch umreißen: Einer jungen Frau wächst eine Seerose aus der Lunge, und ihr Liebhaber sucht nach Abhilfe, indem er jeden Tag das Zimmer der geliebten Kranken mit Dutzenden frischer Lilien füllt, und das wird kostspielig.

Dieses literarische Zitatbruchstück stellt Stra-cke in einen experimentellen Kontext, der sich aus verschiedenen weiteren Kontexten und deren Brüchen speist. Der manieriert-expressionis-tische Held aus dem Roman (1946) besitzt nun ein Laptop, mit dessen Hilfe er nach medizinischem Rat im Internet forscht. Mit einem Arzt schaut er immer wieder angestrengt in einen kreisrunden Spiegel. Eine ironische Metapher dafür, wie Stracke die Vorlage nicht adaptiert – im Geiste des Naturalismus. Gerahmt wird dieses surreale stumme Tableau schließlich von Bildern, die einen Kontext gesellschaftskritischer Theorie aufrufen.

Der Betrachter befindet sich bei diesem Verfahren bereits im Herzen der dekonstruktivistischen Philosophie des kürzlich mit dem Adorno-Preis geehrten Franzosen Jaques Derrida. Für den poststrukturalistischen Denker und seinen weit gefassten Kommunikationsbegriff ist mit Kommunikation immer auch die Möglichkeit des Bruchs mit dem bestehenden Kontext verbunden. Ein normaler Sprechakt und sein literarisches Äquivalent können demnach immer ihrem Urheber entwendet und neuen Kontexten eingeschrieben werden. Aus diesem Prinzip der Collage oder der so genannten Bricolage ergeben sich nach Derrida konstruktive Kräfte, die Perspektiven für Kunst und Kritik in sich tragen und der Montagetheorie der russischen Film-Avantgarde ähneln.

Dieser avancierten Theorie der Repräsentation erweist der aus Deutschland stammende und in New York lebende Videokünstler in der letzten Episode seines Films eine direkte Hommage. Ein Darsteller sitzt als Jaques Derrida in einem Taxi auf dem Weg zu einer Pressekonferenz. Der Lilien-Kavalier aus dem Roman von Vian wird ebenfalls dorthin geordert. Über die Windschutzscheibe laufen die Theoreme Derridas und perlen mit den fallenden Regentropfen ab.

Fiktion und Theorie, Kunst und Wissenschaft, Material und Form verwischen, genauso wie die verschiedenen Medienformate in den nicht narrativen, vorangehenden Episoden des Films ineinanderlaufen. Telefon, Internet und Theater geben dort die thematischen Versatzstücke für ein mediales und visuelles Crossover.

Wie Derrida in seiner Philosophie, so stellt auch Stracke die Materialität und Fragilität seiner multimedialen Filminstallationen gezielt aus, lässt das Äußere und Gemachte in den streng behüteten Raum der mimetischen Darstellung einbrechen. Dieses anti-illusionistische Prinzip führt zu bestechend schönen, fremd-vertrauten Bildern medialer Kommunikation. In dem bewussten Ausstellen des Artifiziellen und Störanfälligen, in dem Ineinanderblenden von Zeit- und Darstellungsebenen ergeben sich neue ästhetische Formen, die abstrakt, sinnlich-wahr sind. Sie faszinieren das Auge und lenken die Aufmerksamkeit auf die performative Prozessualität dieser Ästhetik.

Auch wenn Strackes Film keinen Anfang und kein Ende besitzt, sondern vielmehr in einer endlosen Schleife gezeigt werden sollte, wie der Titel andeutet, so illustriert er doch ein gutes Stück Historie der Kommunikation – von ihren Anfängen bei dem Erfinder des Telefons, bis hin zur postmodernen Arbeit eines Jaques Derrida. Und auch die Geschichte des Films, vom Stummfilm über die Livereportage und den Dokumentarfilm zur Videoinstallation, von der reinen Geste hin zum Logozentrismus, wird lesbar. Am Ende lösen sich auf der fiktiven Pressekonferenz alle Kontexte und Sprechakte in einem einzigen endlosen sprachlichen Rauschen auf. Derridada? Nein, ein erstaunliches Beispiel experimenteller Filmkunst.

Premiere in Anwesenheit von Caspar Stracke: Freitag, 21.15 Uhr, Metropolis

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