■ Das Angebot der Europäischen Union an die Türkei ist halbherzig: Kandidatenstatus: irgendwann
Die EU-Chefs haben bekräftigt, was die EU-Kommission schon zuvor in einem Bericht über die Erweiterungsperspektive der Union vorgeschlagen hatte: Im Dezember will man in Helsinki beschließen, mit sechs weiteren Anwärtern Beitrittsgespräche aufzunehmen – darunter Bulgarien und Rumänien – und der Türkei den lange umstrittenen Kandidatenstatus zuzubilligen. Allerdings mit einer kuriosen Einschränkung: Beitrittsgespräche sollen erst aufgenommen werden, wenn die Türkei die so genannten Kopenhagener Kriterien erfüllt hat. Das Land soll also nicht EU-Mitglied werden, wenn es die Kriterien erfüllt, sondern man will mit den Verhandlungen beginnen, wenn die Kriterien erfüllt sind.
Fragt sich, worüber dann eigentlich noch verhandelt wird. Die Entscheidung, so sie denn in Helsinki tatsächlich fällt – Schweden macht nach wie vor Bedenken geltend, und das Europaparlament hat mehrheitlich dagegen votiert –, wäre zweifellos ein Fortschritt in den europäisch-türkischen Beziehungen. Aber sie dokumentiert auch, dass die EU nach wie vor nicht einig darüber ist, wie sie mit dem Land im Südosten wirklich umgehen soll. Letztlich bedeutet die Zuerkennung des Kandidatenstatus, so wie er jetzt definiert wird, erst einmal nichts anderes, als Zeit zu gewinnen. Die türkische Regierung wird nicht mehr damit drohen, ihre Beziehungen zur EU endgültig abzubrechen, und man wahrt so die Chance für eine Verbesserung der türkisch-griechischen Beziehungen und für einen Kompromiss um Zypern.
Was diese halbherzige Entscheidung nicht bewirken wird, sind klare Verhältnisse. Die Beziehung verbleibt stattdessen in einer unklaren Gemengelage, die eine zielgerichtete Auseinandersetzung zumindest erschwert. Die EU redet weiter von Menschenrechten, Meinungsfreiheit und der kurdischen Frage und fürchtet tatsächlich die ökonomischen und politischen Folgen, die ein Beitritt von knapp 70 Millionen Menschen, die im Durchschnitt ärmer sind als der Rest der EU-Einwohner, mit sich bringen würde.
Diese Uneindeutigkeit, die Politik des Vertröstens und Zeitgewinnens, führt aber in Ankara dazu, dass die internen Widersprüche weiter verdeckt bleiben. Ist die politische Klasse der Türkei überhaupt bereit, einen großen Teil ihrer Souveränität abzugeben, und sind die Militärs, als Voraussetzung für eine wirkliche Demokratisierung, bereit, sich aus der Politik zuzurückzuziehen? Je klarer das Angebot aus Brüssel, umso schneller müsste man in Ankara Farbe bekennen. Jürgen Gottschlich
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