Das Akronym "NSU": Fahre Prinz und Du bist Nazi?
Seit "NSU" für "Nationalsozialistischer Untergrund" steht, macht man sich bei Audi über die Neckarsulmer Motorenwerke (NSU) Sorgen. Fanartikel werden entsorgt.
Von Arthur Westrup stammt der Slogan "Fahre Prinz und Du bist König". Der langjährige Presse- und Werbe-Chef der Neckarsulmer Motorenwerke (NSU) hatte maßgeblichen Anteil daran, dass die in Baden-Württemberg angesiedelten NSU – einst der größte Zweiradfabrikant der Welt – hohes Ansehen genossen. Früher bewarb die Traditionsfirma mit dem Claim ihr erstes Auto nach dem Krieg: den legendären Kleinwagen NSU Prinz.
Heute könnte NSU, die 1969 mit der Auto-Union zu Audi verschmolzen, erneut einen findigen Marketing-Experten wie Westrup gebrauchen – würde die Firma noch existieren. Denn das Bild, das die drei Buchstaben NSU zurzeit transportieren, ist ziemlich schlecht.
NSU – das ist seit November in der medialen Öffentlichkeit die Chiffre für die rechte Terrorzelle aus Zwickau, den "Nationalsozialistischen Untergrund", die Mörderbande um Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt, die zehn Menschen getötet hat.
Wer bei Google News die Buchstaben-Kombination NSU eintippt, dem spuckt die Suchmaschine mehrere tausend Treffer aus. Wer hofft Auto-Informationen zu finden, braucht Zeit und Geduld. Die Terroristen und Medien haben das früher harmlose Kürzel okkupiert und umgedeutet.
Kritik an den Medien
"In der Szene", sagt Jochen Kemmler, der 1. Vorsitzende vom NSU-Prinz Club Schwaben, "wird das Thema nicht mit Freude zur Kenntnis genommen". Der 1981 im Raum Heilbronn gegründete Verein gehört mit rund 230 Mitgliedern zu den größten NSU-Fanclubs in Deutschland. Als Lappalie will der Vereinschef den Namens-Missbrauch durch die Zwickauer Terroristenzelle nicht abtun – und kritisiert zugleich den missverständlichen Umgang mit dem Kürzel NSU in den Medien.
"Die Leute machen sich schon Gedanken", sagt der 47-Jährige, bei dem gleich mehrere NSU-Fabrikate in der Garage stehen. "Wenn ich nicht gerade auf dem Weg zu einem Club-Abend bin, würde auch ich jetzt im Zweifelsfall mein NSU-T-Shirt im Schrank lassen."
Auch bei Audi nimmt man das Thema ernst. Die Ingolstädter Autobauer führen die NSU GmbH als Traditionsmarke und vertreiben Devotionalien der Marke, darunter NSU-Modellautos und NSU-Textilien, aber auch Ersatzteile. "Wir sind ziemlich wütend und betroffen, dass der Name in diesem Kontext benutzt wird", sagt Jürgen De Graeve. Der Audi-Sprecher befürchtet zwar keinen Imageschaden, aber das Unternehmen wolle auch verhindern, dass die drei Buchstaben durch den rechten Mob vereinnahmt werden.
Um "braunes Gesindel" fernzuhalten, habe der Autohersteller daher alle NSU-Fanartikel, die keinen direkten Bezug zum Thema Auto haben, aus dem Online-Shop im Internet entfernt – zum Beispiel ein schlichtes schwarzes Polo-Shirt mit weißem NSU-Schriftzug. Letztlich sei NSU "auch das Kürzel für alle, die in der Region leben", sagt De Graeve.
NSU überall
In der Tat: Das Kürzel NSU prägt das Leben in Neckarsulm und um Neckarsulm herum, es ist das Synonym für den an den Flüssen Neckar und Sulm gelegenen 27.000-Einwohner-Ort. Es gibt es in Neckarsulm eine NSU-Straße, das Deutsche Zweirad- und NSU-Museum findet sich hier, der größte lokale Sportverein nennt sich NSU (die Neckarsulmer Sport-Union) und nicht zuletzt prangen die seit Neuem bösen drei Buchstaben überall auf Straßenschildern. Kemmler sagt: "Es ist ein Glück für uns, dass 95 Prozent der Leute aus der Region wissen, wofür NSU steht."
"Bei dieser Diskussion, die gerade läuft, handelt es sich nur um eine kurze Episode", ist Oberbürgermeister Joachim Scholz (parteilos) überzeugt. "Einen Imageverlust für die Stadt und die Region sehen wir nicht. Der Name NSU existiert bereits seit 1892, wir denken, dass seine positive Strahlkraft bis in die Zukunft reichen wird. Und außerdem glauben wir, dass die Menschen zwischen der Traditionsmarke NSU und dem Terror der NSU unterscheiden können."
Die einzige direkte Verbindung zwischen der einstigen Weltfirma aus Neckarsulm zur NS-Ideologie stammt noch aus der Zeit des Nationalsozialismus. So wie VW in Wolfsburg mit dem Käfer-Modell einen Volkswagen entwickelte, um die Massen zu mobilisieren, so baute NSU in Neckarsulm mit dem 1934er Pony ein erstes "Volksmotorrad". Der Zweitakter war erheblich günstiger als die damalige Viertakter-Konkurrenz. Wie andere Betriebe seien eben auch die NSU-Werke in der Nazi-Zeit an der Rüstungsproduktion beteiligt gewesen, sagt Oberbürgermeister Scholz,– bis am 1. März 1945 ein Bombenhagel einen Schlussstrich unter dieses Kapitel setzte.
Clubchef Kemmler hofft auf ein baldiges Ende der NSU-Mediendebatte. Im April beginnt die Oldtimer-Saison und dann es ist an der Zeit, die Schmuckstücke aus der Garage zu holen und im Juni 2012 findet das 32. Internationale NSU-Treffen statt. Die Veranstalter sind die Stadt Neckarsulm und das dortige Deutsche Zweirad- und NSU-Museum.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht