: „Dann wummer ich los“
Nicht mehr so pubertär: Dieter Gorny, umtriebiger Viva-, Viva-Zwei- und Viva-Plus-Chef, über Konzepte, Senderfusionen mit riesigen Medienkonzernen, den so genannten CNN-Ansatz beim Musikfernsehen und zu lange Fingernägel beim Bassspielen
Interview MARTIN WEBER
Dieter Gorny, 48, studierte Kontrabass, leitete in Nordrhein-Westfalen diverse Rockbüros, war einer der Erfinder der PopKomm und gründete 1993 mit Viva den ersten deutschen Musiksender, 1995 kam Viva Zwei hinzu. Nach zahlreichen Programmreformen und chronischen Verlusten wird Viva Zwei derzeit häppchenweise beerdigt, im Januar 2002 startet dann Viva Plus.
taz: Ist es immer noch so, dass Viva-Mitarbeiter Sie duzen dürfen?
Dieter Gorny: Ja, das ist so. Diese emotionale Nähe ist aber nichts Besonderes, das ist in der Tonträger-Industrie ganz genauso.
So jovial wie möglich und so seriös wie nötig?
Ich muss durchsetzungsfähig sein, um meine Position erfolgreich ausfüllen zu können, aber ich remple dabei nicht gerne Leute an.
Was hat der Werbeslogan „Viva liebt dich“ mit dieser emotionalen Nähe zu tun?
Der war und ist gedacht als Außendarstellung des Unternehmens und hat nichts mit internen Strukturen zu tun – eine Mitarbeiter beschützende Variante im Orwell’schen Sinne sollte das nie sein. Der Slogan ist vor vielen Jahren in der Diskussion darüber entstanden, was denn das Medium Viva auszeichnen sollte, wenn es denn akzeptiert würde. Nun ist es seit geraumer Zeit erfolgreich, und der Slogan passt wirklich. Der Sender nimmt seine Zuschauer ernst, holt dich da ab, wo du bist.
Viva Zwei hat nicht so viele Zuschauer abgeholt. Bedauern Sie als Privatmann das Ende des Senders?
Ja, natürlich ist das schade. Ich habe nie gedacht, dass Viva Zwei ein Konzept sein könnte, das Millionen einspielt. Insofern hat der Sender seine Sache von Anfang an sehr gut gemacht, aber er scheitert letztendlich an der Tatsache, dass man in dieser Mediengesellschaft nicht mehr Geld ausgeben kann, als man einnimmt. Viva Zwei hat immer mehr spezielle Themen präsentiert, und der Preis, den wir dafür bezahlt haben, waren 10 Millionen Mark Verlust pro Jahr.
Jetzt machen wir mit Viva Plus etwas Neues, und es werden nicht nur Arbeitsplätze gesichert, es werden sogar mehr geschaffen.
Das klingt alles arg nach Samaritertum. Die Viva Media AG ist aber ein börsennotiertes Unternehmen und keine karitative Einrichtung.
Tatsache ist, dass bei Viva Plus neue Arbeitsplätze hinzukommen. Wir können starten mit 40, im Businessplan stehen 59, und Dominik Kaiser, der neue Geschäftsführer, ist schon bei 65, weil er umgeschichtet hat.
Wenn Sie – wie bei Viva – über Jahre hindurch immer nur Zuwachs kennen, kann die Stimmung auch schon mal schlecht sein, wenn ein Bürostuhl am falschen Platz steht. Die gesamte Entwicklung des Unternehmens Viva hat ja seit dem Sendestart 1993 nie Dellen gekriegt.
Wie definieren Sie das Konzept von Viva Plus?
Spannendes Musikfernsehen, Umgang mit VJ-Berichten auf eine völlig neue Weise, nachweislich international. Alles austesten, was interaktiv in Verbindung mit analoger Technik geht – ohne ein Hehl daraus zu machen, das vieles ohne digitalisiertes Fernsehen noch nicht geht. Es wird Slots aus den Pop-Metropolen dieser Welt geben, die VJs werden vor Ort sein und live via Internet aus L.A., London, Hamburg, Berlin und Köln berichten – und das alles live. Die deutschen Städte, aus denen berichtet wird, werden vierteljährlich wechseln. Bis auf unsere Homebase Köln, die bleibt.
Wenn Sie nur aus Metropolen wie L.A. und London berichten, werden Sie schnell monothematisch. Ich gebe aber zu, dass sich die Leute mehr für L.A. und London und später auch für Tokio und Barcelona, die auch noch dazukommen sollen, interessieren werden. Wenn Sie jetzt sehen, wie Leute in Dortmund rumrennen, würde ich vom Interesse her sagen: sehr bedingt. Dann lassen Sie doch das Pop vor den Metropolen weg, dann haben Sie’s.
Neu bei Viva Plus wird auch ein gesplitteter Bildschirm sein, und hin und wieder wird es auch Laufbänder geben.
Wenn der Sender sich infomäßig verdichtet, sind wir eben auch in der Lage, diese Infos rüberzubringen. Es fängt beispielsweise mit einem Splitscreen und Laufband an, der Moderator blendet sich dann aus, dann haben wir einen optischen und informativen Effekt – und sind somit wirklich beim CNN- Ansatz, und das ist im Musikfernsehen ein neuer.
Sie werden aber nicht immer so viele Infos zu verkaufen haben, dass sich ein Laufband lohnt.
Abwarten, das sehe ich anders. Dann kann es auch sein, dass wir die Top-20-Platzierungen durchlaufen lassen. Oder es schickt irgendwer aus Barcelona irgendwem nach sowieso Grüße. Ich kann ja auch direkte Zuschauergrüße und -kommentare einbringen.
Möglich ist das alles erst, weil Sie ein Joint Venture mit AOL Time Warner, dem größten Medienkonzern der Welt, haben. Wie kam der Deal zustande?
Im Frühjahr rief mich eine Agentur an und fragte, ob ich schon wisse, dass AOL den Einstieg ins Musikgeschäft plane. Da hab ich sofort gedacht, wir hätten da was im Angebot: Viva Zwei. Es war alles andere als einfach, an die Führungsspitze von AOL Time Warner ranzukommen. Aber eins war mir klar: Wenn man sich erst mal mit dem Bob Pittman – das ist einer der Gründer von MTV und heute zweiter Mann bei Time Warner – zusammenschraubt, kriegen die anderen Angst. Mit AOL als potenziellem internationalem Türöffner steht Viva anders da.
Wie wird denn die Zusammenarbeit mit AOL Time Warner im Alltag aussehen?
Erst mal ist das ein Partner, der qua Amt schon für etwas steht, weil es eben der größter Medienkonzern der Welt ist. Und dann muss man sehen, wie viel die für ihre Beteiligung von 49 Prozent bezahlen und mit wie viel Geld sich beide engagieren, um das tägliche Business zu sichern. Ohne Ihnen jetzt eine genaue Zahl zu nennen: Sie können sicher sein, dass genug Gelder vorhanden sind; das Projekt ist sauber finanziert und hat genug Geld, um erfolgreich im Markt zu werden.
Sie haben auch eine Fusion mit Brainpool eingetütet. Damit kehrt zum Beispiel Stefan Raab zurück in den Schoß, aus dem er gekrochen ist. Was haben sie strategisch mit dieser Fusion vor?
Man darf sich nicht zufrieden geben mit dem, was man erreicht hat. Die Viva Media AG läuft zwar, auch das mit AOL wird laufen, die Marke Viva ist horizontal gut aufgebaut, das sind alles prima Optionen – aber, was das Letztere betrifft, eben keine Umsatzbringer im Moment, sondern nur eine clevere Parkposition. Und daher stellt sich die Frage: Wie will ich in diesem werbeabhängigen Markt auf Dauer in dieser Flughöhe bestehen?
Zur musikalischen Ausrichtung: Ihr Geschäftsführer sagt: HipHop, Rock, Soul und R&B.
So wird das auch sein. Es wird nicht so puristisch werden wie Viva Zwei, aber auch längst nicht so pubertär wie Viva.
Die Fahne der interessanteren Musik hält dann einzig und allein Charlotte Roche mit ihrer Sendung „Fast Forward“ hoch . . .
Nein. Viva-Zwei-kompatible Musik wird auch bei Viva Plus in den Abend- und Nachtstunden laufen.
In der Ecke ihres Büros stehen ein Bass und ein Verstärker. Spielen Sie auch?
Ich schnall mir das Ding regelmäßig und dann wummer ich los. Das ist völlig stimmungsunabhängig – ich komm rein und leg los. Es kann auch sein, das ich nach 30 Sekunden wieder abschalte. So wie gestern zum Beispiel, da waren die Fingernägel zu lang, und das ärgert einen dann.
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