Daniela Alfinito über Singen in Teilzeit: „Ich mach' die Altenpflege aus Liebe“
Daniela Alfinito verdrängte Herbert Grönemeyers Album von der Spitze, trotzdem will sie Krankenpflegerin bleiben. Ein Gespräch über Schönes und Trauriges.
Daniela Alfinito lebt mit ihrem Mann im Hessischen, in einem Vorort von Hungen, recht nah bei Gießen. Musik macht sie nicht als Hobby, sondern in Teilzeit – gelernt hat sie den Beruf der Altenpflegerin. Deshalb können wir uns auch erst nach ihrer Schicht treffen, um 16 Uhr. Sie wirkt freundlich, vielleicht wäre an diesem Tag noch etwas mehr zeitlicher Abstand zu ihrer Arbeit schön gewesen – aber derzeit macht sie für interessierte Medien so gut wie alles. Jetzt geht sie mit Hund Falkon, der Pressebetreuerin und ihrem Mann auf einen Spaziergang, kurz mal ins Grüne, frische Luft schnappen.
taz am wochenende: Frau Alfinito, Sie sind nun ein Star, Ihr Album hat Sie auf Platz eins der Charts gebracht. Wie merken Sie Ihre Prominenz?
Daniela Alfinito: Oh, sehr stark. Neulich stand ich in meinem Job auf dem Balkon, um mal eine zu rauchen. Dann kam der Anruf einer Radiostation. So wie es viele Anrufe von Radios gibt – und für Talkshows, etwa fürs „Riverboat“ vom MDR.
Im Job – Sie arbeiten immer noch als Altenpflegerin?
Was heißt „immer noch“? Das mache ich seit fast 30 Jahren und will es weitermachen.
Ihre Platte stand vor der Udo Lindenbergs, Herbert Grönemeyer war auch hinter der ihrigen platziert. Ein gutes Gefühl?
Schockierend ist das, und, ehrlich gesagt, ich kann es immer noch nicht fassen. Ich vor Udo Lindenberg, Wahnsinn. Manche, die ihn kennen, sagen, der sei ganz toll.
Würden Sie gern mal mit ihm auf der Bühne singen?
Ja klar. Coole Socke, der Mann. Vielleicht hat er jetzt ja mal an mich gedacht und sich überlegt: „’ne Altenpflegerin stößt mich vom Thron.“
Sie sind doch Sängerin – wieso nennen Sie sich Altenpflegerin?
Die Musik ist für mich ein Hobby, von Freitag bis Sonntag. Von Montag bis Donnerstag arbeite ich als Altenpflegerin.
Warum?
Es ist ein Ausgleich. Im Altenheim wirst du gebraucht, jeden Tag spürst du das. Meine Patienten fragen mich: Kannst du mir helfen – und dann ist es ein schönes Gefühl. Wenn ich freitags auf die Bühne gehe, versuche ich auch wieder Menschen glücklich zu machen, aber anders, mit Liedern.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Wo sind Sie denn lieber?
Ich mache beides gern, die Arbeit im Altenheim und die auf der Bühne.
Wie kam es zu der Entscheidung für den Beruf?
Als wir mit 14 Jahren ein Berufspraktikum machen mussten, wollten die Jungs Elektronik und Elektrotechnik machen, die Mädels Friseuse oder Kindergärtnerin. Und ich sagte: Ich geh ins Altenheim. Na, das Geschrei war groß: Arsch abputzen und so, hieß es. Da hab ich gesagt, seid ihr noch ganz dicht, warum sagt ihr so was? Wir werden alle mal alt, wir wollen alle in Würde gepflegt werden. Dass die Haare in Ordnung sind, okay, aber denkt doch an später, wenn ihr selbst alt seid. Was wird aus euch? Werdet ihr Kinder bekommen? Und wenn ja: Werden die euch pflegen? Seid ihr euch da sicher?
Das ist ja nicht mehr so sicher wie früher.
Ich versuche im Altenheim immer zu schlichten, immer. Der eine Sohn sagt: Die kommt ins Altenheim, der andere: Nein, kommt sie nicht: Es gibt in vielen Familien großen Zank.
Was ist heute anders an Altenpflege als früher?
In letzter Zeit kriege ich mit, dass die Alten nicht sterben können – weil sie auf den einen warten, auf eine bestimmte Person, die sie, ehe sie für immer gehen, noch sehen möchten. Und dann war der da – und die Oma macht die Augen zu. Und ich will einfach, dass sie in Würde stirbt. Schmerzen darf kein Mensch haben. Egal, dass wir manchmal mehr Personal haben müssten, alles soll ja effizient sein und keine roten Zahlen schreiben, aber der Mensch zählt zuerst.
Wie stecken Sie die Berührung mit dem Sterben weg?
Ich sitze dabei, wenn jemand stirbt, ja, aber wenn jemand tot ist, ein toter Körper vor mir liegt, bin ich weg. Meine Kollegen wissen das und nehmen mir meine Angst.
Haben Sie Hobbys, um von der Atmosphäre im Altenheim abzuschalten?
Ich muss nicht abschalten, ich mach die Altenpflege aus Liebe. Hobbys habe ich jedenfalls keine. Ich bin ein Landei, bin hier geboren, nicht in der Stadt, will in den Wald, wenn ich von der Arbeit komme, dann muss ich raus, muss weg.
Nebenbei hat sie dem Fotografen erzählt, dass sie öfter Orchideen geschenkt bekommt – sie aber eher keinen grünen Daumen hat, schon gar nicht für diese Pflanzen. Und kochen? Ja, manchmal, momentan eher nicht so. Sie gehen gern essen, italienisch, ihr Mann ist gebürtiger Italiener, beschäftigt als Gas-Wasser-Installateur im Straßenbau, öfter auf Autobahnen, als Vorarbeiter.
Mögen Sie die Großstadt?
Nein, dort ist mir alles zu eng. Du kriegst keine Luft, du hast nur Abgase um dich rum und Millionen von Menschen. Im Kaufhaus wirst du erdrückt, immer mehr Autos auf den Straßen, und für acht Kilometer braucht man eine halbe Stunde. 20.000 Menschen kommen jedes Jahr nach Berlin, habe ich gelesen, nur um in Berlin zu sein, und viele müssen unter Brücken schlafen.
Gibt’s ein Lied von Ihnen, das mit der Natur zu tun hat?
Ich singe Lieder für die Menschen, nicht für die Natur. Ich bin kein Natursänger.
Was ist für Sie Natur?
Freiheit, gute Luft, keine Abgase, das, was wir bei unserem Spaziergang sehen, das steht nächste Woche auch noch hier, Apfelbäume zum Beispiel. Ist doch schön, wenn du abends einen Apfelkuchen backen willst und dir fehlen Äpfel, dann kannst du vom nächsten Baum klauen, in der Stadt geht das nicht.
Wer sind Ihre Vorbilder?
Mein Onkel und mein Vater.
Die Frau
Alfinito wurde 1971 in Villingen geboren. Ihr Vater, der mit einer Band namens Amigo umhertourt, animierte seine Tochter schon früh, auch auf Kirmesbühnen zu singen. Nach der Schule wurde sie Altenpflegerin und Sängerin – bis heute macht sie beides.
Die Sängerin
Im Januar gelang es ihr, mit dem Album „Du warst jede Träne wert“ Udo Lindenberg eine Woche lang von Platz 1 der Charts zu vertreiben.
Musiker, die in der Schlagerband „Amigos“ Erfolg haben. Wollten Sie nicht schon als Jugendliche auf die Bühne?
Mein Vater hat lange als Braumeister in Lich gearbeitet, Musik war nicht immer sein Einziges, was er tat. Die Bühne faszinierte mich, klar, sie war aber kein Berufsziel. Ich hab mitgeträllert, wenn ich auf Konzerte mitdurfte. Das war schon früh, noch ehe ich lesen konnte. Wenn ich sonntags mit zur Kirmes fuhr, habe ich sie beide angehimmelt. Eines Tages, da war ich vielleicht zehn, hatte Nicole „Ein bisschen Frieden“ gesungen. Und dann haben beide, mein Vater und Onkel Karl-Heinz gesagt, das ist jetzt dein Lied. So fing es an.
Wie Nicole zur Gitarre?
Nur am Mikro, keine Gitarre, ich kann kein Instrument spielen.
Und wie reagierte Ihr erstes Bühnenpublikum?
Papa hat gesagt, du hast toll gesungen, meine Mutter hatte Tränen in den Augen. Ein älterer Herr, ging mit einem Hut durch das ganze Zelt und hat Geld für mich gesammelt. Das war am Ende mein erster Walkman.
Beim Weg zurück zum Haus der Alfinitos, vor Kurzem zum modernen Eigenheim mit opulenter Haustechnik ausgebaut, begegnen wir anderen Menschen – man grüßt sich, man kennt sich, alles freundlichste Nachbarschaft. Daniela Alfinito liebt die Gegend, sie hat nie woanders sesshaft werden wollen.
Was haben Sie als Jugendliche gern gehört?
Alles, was in den achtziger Jahren so lief, Limahl, Hubert Kah, Murray Head, DÖF, mit denen bin ich groß geworden. „Ich düse im Sauseschritt“ und „Sternenhimmel“ waren meine ersten Schallplatten.
Ihr Publikum mochte Sie ja sehr, oder?
Sieben- bis Elfjährige kommen immer gut an, wenn sie auf der Bühne stehen. Irgendwann war das vorbei, da war ich in der Ausbildung – da hörte ich lieber Juliane Werding, Claudia Jung oder Ireen Sheer.
Wie bezeichnen Sie die Musik, die Sie machen?
Ich sage Popschlager. Ich singe über Themen, die aus dem Leben gegriffen sind. Ich singe Texte, die man verstehen sollte. In meiner Fanpost steht: Du hast mir sehr geholfen, als ich mich von meinem Mann getrennt habe. Oder: Du singst mir aus der Seele. Eine auch: Als ich im Krankenhaus lag, haben mich deine Lieder getröstet. Es gibt auch Leute, die sagen, was singst du für ’n Scheiß, aber damit muss ich umgehen.
Das sagen auch manche über Grönemeyers Lieder.
Ja. Bei dem haben sich viele beschwert: Warum singt der Türkisch. Ich sag: Lass ihn. Ist doch okay.
Ist Ihre Musik, wie manche sagen: uncool?
Uncoole Musik gibt es nicht, die Geschmäcker sind halt verschieden. Wenn jemand AC/DC hört und ein anderer sagt, die sind scheiße – dann ist da was nicht in Ordnung. Oder Frei.Wild, die haben auch sinnvolle Texte.
Frei.Wild gilt als rechte Band.
Du musst nur mal richtig hinhören, es ist eben Geschmackssache. Im Moment ist der Hype auf meiner Seite. 5.000 Menschen schreiben mir, deine Musik ist geil – das ist meine Tatsache.
Was sagen Sie zu „Feine Sahne Fischfilet“?
Was … wer ist das?
Die Antwort aus Mecklenburg auf Nazibands im Osten. Auch auf Frei.Wild.
Aha. Mir ist das politisch egal, jeder soll singen und hören, was er will. Ich singe auf Deutsch. Jeder soll mich verstehen. Wenn es ein Engländer ist, hat er Pech gehabt. Ich möchte deutsche Musik machen. Ich steh zu meiner Musik. Jeder soll hören können, was ihm gefällt. Lindenberg, Grönemeyer, Frei.Wild und auch mich.
Sie arbeiten in der Altenpflege, das ist ein Knochenberuf. Wollen Sie nicht lieber doch sieben Tage Musik machen?
Nein. Das will ich nicht. Wir sind eine große Familie im Altenheim, wir sind ein geiler Haufen. Okay, wir sind zu wenige Pflegekräfte. Viel zu wenige. Laut Pflegeschlüssel heißt es, wir seien überbesetzt. Es wird aber niemand entlassen bei uns.
Haben Sie im Altenheim auch Patienten, die nicht in Deutschland geboren wurden?
Wir haben Bewohner, die der deutschen Sprache nicht so mächtig sind. Vielleicht wäre ein Deutschkurs gut, gerade für diejenigen, die noch nicht lange bei uns sind, wir sind ja eine Gemeinschaft, und wir haben noch niemanden weggeschickt.
Wie denken Sie über Angela Merkels Satz „Wir schaffen das“?
Dass man ihre Bilder, an manchen Orten, mit Hakenkreuzen beschmiert, erschreckt mich sehr. Das hat sie nicht verdient. Was sie machte mit ihrer Politik der Flüchtlinge, war zwar nicht so gut. Ich bin kein Rassist, bin ja auch mit einem Italiener verheiratet, nächstes Jahr ist Silberhochzeit.
Die Künstlerin Daniela Alfinito behält sich den Kontakt zum, wie sie sagt, echten Leben ihrer Fans vor, eine Promoagentur begleitet sie beim Nötigsten, bei der Planung von Talkshowauftritten etwa. Die Post allerdings öffnet sie selbst, sie hat keine Vorsortierer, sie will keine Filter zwischen sich und ihrer Wirklichkeit.
Sie bekommen nur schöne Fanpost?
Nein, wirklich nicht nur schöne Briefe. Vor Kurzem war da einer, ohne Absender, eine Frauenschrift, da stand drin, du hast so eine hässliche Fresse, dich kann man nur im Radio anhören, und deine Haare, du könntst dir auch mal einen anständigen Friseur leisten. Eine Sauerkrautfrisur hätte ich.
Und wie reagieren Sie?
Ich frage mich: Warum sagt sie es mir nicht ins Gesicht? Wenn sie findet, ich sei ein Arschloch – na bitte, aber so anonym, das ist feige. Was ist das überhaupt für eine Welt hier? Ich kann mit so ’ner Kritik ganz schlecht umgehen. Und mein Vater sagt, das musst du ablegen.
Einfach gesagt.
Ich sagte ihm dann, ihr standet auch mal an der Stelle, als ihr am Anfang wart. Und ihr könnt mir nicht erzählen, das hat euch nix ausgemacht. Doch, doch, sagt er, ich hab auch mit mir gehadert und gedacht, warum sind die Menschen so bösartig. Es sind Menschen, die Neid und Hass versprühen, zwei Gehirnzellen im Kopf haben, die miteinander nicht kompatibel sind.
Stefanie Hertel wurde auch gedisst auf ihrer Gästeseite, als sie sich von Nazis und der AfD distanzierte: Kapitalistenhure nannte man sie. Schlimm waren die schlaueren Leute, die ihr das AfD-Programm erklären wollten …
Mir geht das Böse nah, ich kann’s nicht ablegen, ich kann’s einfach nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“