Überlegungen über die Zukunft: Der Todesstern im Havelland
Alles ist viel weniger spektakulär als die versprochenen Jetpacks und Replikatoren. Aber dreimal besser als die Fantasien von Flugtaxis und Hyperloops.

T odesstern – daran denke ich, während draußen das Havelland vorüberzieht. Irgendwo hinter Wustermark schaukelt der gar nicht überfüllte und nur leicht verspätete Zug durch die Felder gemächlich Richtung Spandau. Ein paar Jugendliche drängen sich seit Rathenow mit ihren Fahrrädern neben meinem. Die sind aus der Gegend; einer ist schon wieder ausgestiegen.
Der Zugbegleiter verlangt die Tickets: „Ach so, eine Gruppe. Alle mit Rädern?“ Ich vermelde ordnungsgemäß, nicht Teil der Ausflugsgesellschaft zu sein, was der Kontrolleur mit mitleidigem Blick quittiert: „Das dachte ich mir schon. Ist doch ein etwas anderer Altersschnitt“ – „… als unser beider“, will ich fast sagen. Ich lass es aber sein und krame nur den Fahrausweis hervor wie ein braver Erwachsener eben.
Ich erinnere mich gut, mit welch gerechter Empörung ich auf die Elterngeneration geschaut habe, als ich noch so jung war. Was für einen riesigen Misthaufen die uns hinterlassen würden. Nur knapp waren wir dem Atomtod entronnen (Wettrüsten! Tschernobyl!) und hatten schlechte Haut vom sauren Regen. Thatcher, Kohl und Woytila waren die Sieger der Geschichte, und zu Haus in Rostock lungerten überall Nazis rum. Im Berufsinformationszentrum wurden uns die Antragsformulare fürs Arbeitslosengeld oder die Zugverbindungen nach Westen erläutert. Bloß weg da.
Das alles aber war rein gar nichts im Vergleich zu der apokalyptischen, abwechselnd verbrannten oder abgesoffenen Seuchenlandschaft, die meine Generation mit resigniertem Achselzucken der hoffnungsvollen Jugend von heute übergibt. Eines Tages, mein Kind, wird das alles dir gehören. Bitte, danke, Todesstern.
Felder ohne Funkloch
Aber diese Jugendlichen da scheinen nicht sonderlich wütend auf den Schaffner oder mich zu sein. Sie beachten uns gar nicht weiter. Zeigen sich Sachen auf ihren Telefonen, lachen zu laut, hören doofe Musik. Zwei sind glaub ich verliebt, aber ich will da auch nichts unterstellen und schaue diskret aus dem Fenster. Die Felder sind inzwischen großflächig aufgebauter Solartechnik gewichen. Zwischen den Kollektoren strecken sich Windräder in den niedrigen Himmel. Der Zug hat derweil sogar ein wenig von der Verspätung aufgeholt. Das Netz ist besser als am Alexanderplatz.
Das ist alles viel weniger spektakulär als die Jetpacks oder Replikatoren, die mir einmal versprochen waren, aber dreimal besser als die kokainmunteren Fantasien von Flugtaxis, Hyperloops und extraplanetaren Kolonien eben doch. Nicht auf dem Mars, hier beginnt die Zukunft. Hat schon längst begonnen. Die Frage ist nur, wie lange und zu welchem Preis sich die Vergangenheit dagegenstemmt.
„Sie brauchen noch eine Fahrradkarte“, sagt der Zugbegleiter etwas ungeduldig. Hmm, hatte ich die nicht dabei? Moment. Ach Mist. – Er dreht sich zur Anführerin der Gruppe. „Ihr habt doch neun Räder auf dem Ticket, oder?“ –Und sie nickt verbindlich über die acht Mountainbikes hinweg. – „Okay, gute Fahrt noch.“
Bitte, danke.
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