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Dance-Duo KinzuaPfeifen im Ohr nach der Clubnacht

Musikalisch schwer zu kategorisieren und doch auf dem Dancefloor zuhause: Das Berlin-Leipziger Duo Kinzua und sein Album „None of the Above“.

Klingt wie nichts dergleichen: Lucas Brell und Marvin Uhde sind Kinzua Foto: Christian Doeller

Ein halbes Jahrhundert ist es her, dass Patti Smith aus der „Pissfactory“ grüßte, einer Fabrik für Kinderspielzeug, in der die US-Künstlerin jobbte, bevor sie zur „Godmother of Punk“ wurde. Wortgewandt und poetisch changierte sie in dem Song, der zunächst ein Gedicht war und dann 1974 zur B-Seite ihrer Debütsingle wurde, zwischen marxistischen Theorien und dem fehlenden Enthusiasmus der Ar­bei­te­r*in­nen beim Begreifen von Haupt- und Nebenwidersprüchen.

Ganz so programmatisch geht es beim Debütalbum des Duos Kinzua im Jahr 2023 nicht zu. „None of the Above“, veröffentlicht beim Düsseldorfer Label Offen Music, kommt – abgesehen von Album- und Songtitel – sogar gänzlich ohne Texte aus. Dennoch grüßen Lucas Brell und Marvin Uhde auf gewisse Art und Weise aus einer anderen Pissfabrik, einem umgenutzten ehemaligen Pissoir. In Berlin nannte man solche öffentlichen Toiletten viele Jahrzehnte „Klappe“.

Im Laufe der Zeit wurden diese Klappen primär Zufluchtsort für Homosexuelle Menschen (vornehmlich Männer), die, verfolgt von Staat und Gesetz, an solchen Orten eine Möglichkeit zum anonymen, schnellen Sex fanden. Manch einer traf dort auch die große Liebe; das ist aber ein anderes Thema.

„Zur Klappe“ auf dem Mittelstreifen

Eine solche Klappe liegt auf dem Mittelstreifen der großen Yorckstraße im Berliner Stadtbezirk Kreuzberg und dient inzwischen als ungewöhnlicher Techno-Club: Mickrig, heiß, laut, ungezügelt. Programmmacher ist Lucas Brell, die eine Hälfte von Kinzua. Die andere ist Marvin Uhde, Wahl-Leipziger, als DJ unter dem Pseudonym Qnete bekannt, und im Nebenberuf Besticker von Sweatshirts und Kappen. Accessoires, denen in der Clubszene besondere Beliebtheit zuteilwird.

Kinzua

Kinzua: „None of the Above“ (Offen Music/Rush Hour)

„None of the Above“, auf Deutsch: „Nichts dergleichen“ ist als Titel zutreffend. Der Unwillen, kategorisiert zu werden, ist der Musik von Kinzua bereits von Beginn an eingeschrieben. Entsprechend ist es nur bedingt richtig, dass der Club „Zur Klappe“ direkten Einfluss auf die Musik nimmt – sehr wohl stimmt aber, dass sich die sanft hinausschwappenden Wellen des Nacht­lebens im Sound von Kinzua widerspiegeln und nachwirken.

Wenn bei „Once“ der Bass-Synth grummelig das Solo spielt, nur um den (Post-)Industrial-Samples, die bisweilen an Bands wie Psychic TV und O Yuki Conjugate erinnern, ein Bett zu sein, dann meint man im Hintergrund den spätmorgendlichen Tinnitus zu erhaschen.

Gleichsam hat man nicht mehr als anderthalb Minuten Zeit, um überhaupt einzutauchen: So plötzlich, wie der Track gestartet ist, verstummt seine Miniatur wieder. 17 Stücke bieten Kinzua – die meisten machen sich zwischen zweieinhalb und fünfeinhalb Minuten breit und bleiben nachhaltig im Gedächtnis haften.

Neben „Once“ gibt es auch eine Skizze namens „Drop“: ein wildes Brimborium aus kratziger Percussion und einem launigen Arpeggiator. So unterschiedlich gerade die beiden Kurzformate klingen, so sehr rahmen sie den Sound dieses Albums, der gewollt schwer zu fassen ist. Für Postpunk klingt Kinzuamusik zu weit weg vom Songformat, für (Post-)Industrial hingegen zu wenig konfrontativ; Techno will die Musik der beiden Produzenten auch nicht sein, verweigert sie sich doch den klassischen Drumsettings aus den Maschinen.

Für elektronische Avantgarde fehlt ihr hingegen der Wille zum … Avantgardismus. Diese Chimärenhaftigkeit steht der Musik umso besser: unklar, schleierhaft und bisweilen das Echo einer ­greifbaren Idee – flirrend, schimmernd, frei flottierend in der Pissfabrik.

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