Dahn nicht im Richterparadies

Die PDS wollte die Publizistin Daniela Dahn als Laienrichterin im Brandenburger Verfassungsgericht. Wegen ihrer Thesen zur DDR-Justiz platzte die Wahl  ■ Von Georg Löwisch

Berlin (taz) – Daniela Dahn ist nicht zimperlich. Eine „poststalinistische DDR“ verglich die Schriftstellerin einmal mit einer „finanzstalinistischen BRD“. Akribisch zählte sie westdeutschen Prominenten Fehler der Einheit auf. „Vertreibung ins Paradies“ lautet der Titel ihres neuesten Buches. So streitbar Dahn ist, so umstritten ist sie auch. Da waren ihre Erklärungen geradezu handzahm, ja staatstragend, als sie Anfang Oktober im Radio befragt wurde. Die Verfassung von Brandenburg sei modern, es gebe starke basisdemokratische Elemente. Und weil sich schwerwiegende Entscheidungen zunehmend von den Parlamenten in die Gerichte verlagerten, werde sie als Richterin des Landesverfassungsgerichts kandidieren. Möglich ist dies, weil drei der neun Richter Nichtjuristen sein können. Der Landtag wählt mit Zweidrittelmehrheit, jede Partei darf Vorschläge machen. Die PDS schlug Daniela Dahn vor.

Mittlerweile ist aus der Bewerbung eine krachende Auseinandersetzung geworden, die gestern ihren vorläufigen Höhepunkt fand. Die PDS zog ihren Vorschlag vorerst zurück, warf der SPD-Fraktion, die Dahn großteils ablehnt, „unwürdigen Umgang“ vor, nachdem schon vorher Fraktionschef Lothar Bisky verkündet hatte, es solle wohl ein „Parteigericht der SPD“ installiert werden. „Ungeheuerliche, niveaulose Unterstellung“, gab SPD-Sprecher Ingo Deckert zurück.

Eigentlich hatte alles ganz ruhig angefangen. Ende Oktober stellte sich die Schriftstellerin dem Hauptausschuß des Landtages vor. Kontrovers wurde zwar diskutiert, aber anschließend votierten alle Abgeordneten für sie. Auch als Dahn die SPD-Fraktion besuchte, stimmten bei einer Probeabstimmung 21 Sozialdemokraten für und nur 15 gegen sie. Anfang der Woche schlug die Stimmung um. In einem Brief an seine Fraktion warf der Abgeordnete Andreas Kuhnert, ein 48jähriger Pfarrer, der Kandidatin vor, „als Verfassungsrichterin gänzlich ungeeignet“ zu sein: „Sie stellt sich im Waldheim-Kapitel ihres Buches ,Vertreibung ins Paradies‘ ganz offen und demonstrativ außerhalb von Grundprinzipien des Rechtsstaates.“ Am Dienstag waren 26 Abgeordnete gegen die Schriftstellerin.

In dem Kapitel beschäftigt sich Dahn mit den Prozessen, die 1950 im sächsischen Waldheim über 3.200 Menschen vor allem wegen Vergehen in der Nazizeit verurteilten, über 30 davon zum Tode. Durchschnittlich dauerten die Verhandlungen 20 Minuten, Zeugen wurden meist nicht gehört, und nur bei Höchststrafen waren Verteidiger anwesend. Nach der Wende wurde eine fast 80jährige DDR-Richterin verurteilt.

Die Schriftstellerin untersuchte, ob die Waldheimer Prozesse „Exzesse“ waren. Sie fragte, „welches Rechtsempfinden zur damaligen Zeit eigentlich im übrigen Europa geherrscht haben mag, in all den Ländern, die unter den Nazis gelitten haben“. Zudem gab sie zu bedenken, daß die „Mehrzahl der zum Tode Verurteilten Nazijuristen“ gewesen seien, und kritisierte, daß diese mit der Aufhebung der Urteile nach der Wende rehabilitiert worden seien. Dem Richter, der die besagte DDR- Richterin verurteilte, warf sie „Rache“ vor.

„Wer im Schuldspruch eines ordentlichen deutschen Gerichts einen Akt der Rache sieht, ist als oberste Richterin für dieses Land nicht geeignet“, warf SPD-Mann Kuhnert Dahn vor. Sie versuche Unrecht zu relativieren, indem sie auf gleichzeitiges Unrecht in anderen Ländern verweise.

Gut genug sei sie für Pfarrer Kuhnert gewesen, einst in seiner Kirche zu lesen, wetterte Dahn zurück. „Welcher Teufel ihn geritten hat, mir jetzt die Worte im Mund herumzudrehen, kann ich nicht beurteilen.“ Ihre Bewerbung zog sie freilich nicht zurück.

Die PDS hofft, daß Dahn weiter zur Verfügung steht. Immerhin konnte sie gestern auf Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) verweisen, der erklärte, mit ihren Texten treffe Dahn das Empfinden Ostdeutschlands. Zu den Befürwortern Dahns gehört auch SPD- Fraktionschef Wolfgang Birthler. Zwar habe auch Birthler „Bauchschmerzen“, erklärte sein Sprecher Deckert. Für sie spreche aber ihre kritische Art – „die im Verfassungsgericht von Nutzen sein könnte“.