Dackel, Teckel, Sausage Dog: Klein, aber größenwahnsinnig
In der Krise ist der Dackel der Hund der Stunde: Er braucht wenig Platz und Futter, ist drollig, aber nicht albern und mehr als nur ein Accessoire.
Im Dezember 2020 rief die FAZ einen Trend zum Dackel aus, nachdem sie zehn Jahre zuvor dessen Aussterben betrauert hatte. Allerdings verkündete Der Spiegel schon 2011 „den Eintritt in die dritte Dackelphase“, während Die Welt und Süddeutsche Zeitung 2016 befanden, der Dackel – auch Teckel genannt oder Dachshund – habe nie und immer seine Zeit.
Ja, was denn nun? Zunächst einmal: Der empirische Nachweis von Hundemoden ist schwer zu führen. Die stets herangezogene Statistik des Verbands für das deutsche Hundewesen (VDH) sagt nicht viel aus, weil sie nur Welpen erfasst, die nach dessen Standards gezüchtet werden. Bei Dackeln waren das 1992 mehr als heute, nämlich 14.208. Dabei musste die Nachfrage zwangsläufig sinken, weil immer neue Rassen auf den Markt gekommen sind. Seit 2008 hat sich die Zahl der Dackelwelpen zwischen 5.600 und 6.600 eingependelt.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Dennoch lässt sich jetzt, zum Weltdackeltag am 21. Juni festhalten: Das Gefühl vermehrter Dackelsichtungen täuscht nicht. Das beweist eine andere Statistik, die von Tasso e. V. Bei dem Verein können Halter:innen ihre gekennzeichneten Tiere registrieren lassen, um sie bei Verlust leichter wiederzufinden. Hier fragt niemand nach einem Zuchtbuch, sondern nur, wofür jemand seinen Hund hält.
Unter den zehn meistregistrierten Rassen finden sich die üblichen: Labrador, Französische Bulldogge, Chihuahua, Australian Shepherd. An der Reihenfolge änderte sich zuletzt wenig. Nur ein Hund taucht im Jahr 2019 nicht einmal in den Top 20 auf, rutscht 2020 hinein, steht 2022 auf Platz 16 und 2023 schon auf Platz 14: der Dackel!
Der Dackel ist der Hund der Krise
Aber warum wollen immer mehr Menschen einen derart unproportionalen Hund besitzen, mit langem Rücken und kurzen Beinen, den seine Besitzer:innen Treppen hinauf- und hinabtragen müssen, wenn sie das Risiko eines Bandscheibenvorfalls verringern wollen? Die Dackellähme ist der Grund, weshalb Dackel nach Plänen des Agrarministeriums neben anderen Tierrassen als Qualzucht verboten werden könnten.
Zudem sprechen Dackel schlecht auf Erziehungsversuche an. „Ich muss dem einen jeden Tag aufs Neue seinen Platz zuweisen“, erzählt auf einem Bremer Parkplatz eine Frau Mitte 60, Besitzerin zweier Rauhaardackel, sau- und dürrlaubfarben. Ihr Blick geht nach unten, sehr weit unten, wo sich der Saufarbene einen Weg durch die Hecke bahnt, die Leinenführerin hinter sich herziehend. Eine andere Spaziergängerin, Mitte 30, sagt, sie versuche erfolglos, ihrem schwarz-roten Kurzhaardackel den Sprung aufs Sofa abzugewöhnen. Nervig, aber er habe genau die richtige Größe für ihre Stadtwohnung.
In der Krise mag der Dackel als Hund der Stunde erscheinen. Er braucht wenig Platz und Futter, ist drollig, aber nicht albern wie die Zwergspitze von Paris Hilton, ein trotz geringer Größe ernst zu nehmender Hund und kein Accessoire. Doch fragt man einen gestandenen Züchter, was er von Dackeln als Stadthund hält, schnaubt er ins Telefon. „Nix“, sagt er, aus persönlichen Gründen möchte er anonym bleiben. Dackel bräuchten viel Auslauf, Streicheln sei zu wenig Beschäftigung.
Der Dackel ist altmodisch, beruhigend und post-cool
Dackel sind ursprünglich Jagdhunde und daher so harthörig wie manch Kleinkind: Sie sollen selbstständig Dachse und Füchse in deren Bauten jagen. Deshalb sagt man ihnen einen Hang zur Selbstüberschätzung nach, manche deuten sie als besonders resilient. „Seine Konjunktur ist weniger Ausdruck eines Retro-Trends oder einer drohenden Retraditionalisierung, sondern ein Zeichen für die Bereitschaft des Menschen, sich dem Ungewissen zu stellen“, glaubte die FAZ am Ende des ersten Coronajahres.
Aber mal ehrlich: Gibt es eine Hunderasse, die so retro ist wie der Dackel, die das Heute mit gestern – in Gestalt von Gustl Bayrhammer und Dackel Oswald – und vorgestern – Kaiser Wilhelm II. und Lieblingsdackel Erdmann – verbindet, und die keinerlei Nazi-Assoziationen hervorruft?! Anders als der Deutsche Schäferhund, der führt zwar immer noch die VDH-Statistik an, hat aber einen viel stärkeren, kontinuierlichen Absturz hingelegt, von 30.802 Welpen im Jahr 1996 auf 8.395 im Jahr 2022. Der Abstand zum zweitplatzierten Dackel ist deutlich geschmolzen.
Auffallend oft halten Jüngere das andere Ende der Leine: Dackel scheinen für sie eine Post-Coolness zu besitzen wie Schnauzbärte und andere Spießer-Insignien, und dies international. Eine 25-jährige Kollegin mailt einen Artikel über einen französischen In-Designer, der seinen Dackel auf Instagram präsentiert. Auch Kylie Jenner aus dem Kardashian-Clan in den USA postet Fotos ihres Dackels. Dackel passten zur Cleangirl- und Oldmoney-Ästhetik, auf die ihre Generation so abfahre, schreibt die Kollegin. „Das Altmodische wirkt beruhigend.“
Dem Dackel gehört die Zukunft
Auffallend ist auch, dass die beiden Promi-Hunde und viele andere, die einem neuerdings über den Weg laufen, gar nicht aussehen wie Dackel. Dafür sind sie zu … bunt: grau, weiß, isabell, gestromt, gefleckt, gepunktet. Dass Dackel aussehen wie Promenadenmischungen, kam immer schon vor. Aber nur der Amerikanische Zuchtverband erlaubt die gezielte Zucht von Farbschlägen, die mit einem erhöhten Risiko für genetische Krankheiten einhergehen.
Beim American Dachshund dürfen es 15 Grundfarben sein sowie fünf Zeichnungen. Nun teilt der Dackel die Farbvarianz mit anderen Modehunden. Aber, ha! Dackel gibt es zusätzlich in drei Fellarten (rau, lang, kurz) und Größen (klein, kleiner, noch kleiner). Man kann sich seinen Dackel zusammenstellen wie einen Coffee to go. Einmal Chocolate Cream Dapple, Medium Size bitte (das ist ein Hund und kein Kaffee).
Dieser zusätzliche Distinktionsgewinn macht ihn zum perfekten Begleiter aller, die gerne etwas Besonderes wären, aber das Unbekannte fürchten. Denn der Dackel ist eingegangen ins kollektive Unbewusste des Westens.
Pablo Picasso, einer von vielen berühmten Dackelliebhabern, zeichnete 1907 einen mit einem Strich aufs Papier. Als „Le Chien“, der Hund, wurde der Nachdruck hunderttausendfach verkauft. Dabei ist die Silhouette unverwechselbar die eines „Wiener“ oder „Sausage Dog“, eines Würstchen-Hunds, wie es im Englischen heißt.
Die Zukunft ist ungewiss – sie gehört dem Dackel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin